Grundbildung in der Arbeitswelt: Was geschafft ist – und was nun kommen muss

AlphaDekade © BMBF/ bundesfoto/Kurc

Zielgruppen, Lernformate und die strukturelle Verankerung von arbeitsorientierter Grundbildung standen im Fokus der ersten Präsenzkonferenz der AlphaDekade seit mehr als drei Jahren. Rund 250 Teilnehmende aus den Pilotprojekten der AlphaDekade, aus Erwachsenenbildung, Politik und Wissenschaft hatten sich angemeldet. Neben fachlichem Interesse stand der Wunsch im Vordergrund, sich endlich wieder persönlich auszutauschen. „Ich hoffe auf Inspiration und möchte die Strukturen hinter der arbeitsorientierten Grundbildung verstehen“, sagte Sabine Bölling von der Volkshochschule Norderstedt. „Das geht in persönlichen Gesprächen viel besser als auf einer digitalen Veranstaltung.“

Austausch, Transfer und Weiterentwicklung – darauf war das Programm der Dekadekonferenz ausgerichtet. Was haben die Akteure der arbeitsorientierten Grundbildung in den vergangenen zehn Jahren erreicht? Welche Ansätze empfehlen sich zur Übernahme? Was folgt nach der Dekade 2026?

Das Bewusstsein ist da – die Kooperationen ebenfalls

„Vor zwanzig Jahren war geringe Literalität noch ein Tabuthema und es gab kein gesellschaftliches Bewusstsein für den Bedarf an Grundbildung am Arbeitsplatz“, zog Kornelia Haugg, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), in ihrem Videogrußwort Bilanz. „Heute wissen wir, dass die Arbeitswelt ein wichtiger Ort ist, die Zielgruppe zu erreichen.“ Nun komme es darauf an, Grundbildung in der Personalentwicklung, Arbeitsförderung und beruflichen Weiterbildung zu verankern. Diese große Aufgabe könne nur gemeinsam von Bund, Ländern, Kommunen und Partnern gemeistert werden.

Große Hoffnung setze das BMBF in die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS), sagte Unterabteilungsleiter Dr. Thomas Greiner bei der Eröffnung der Konferenz. Von Dokumentationspflichten bis zur digitalen Transformation: Fast zwei von drei Unternehmen in Deutschland erwarten steigende Anforderungen an allen Arbeitsplätzen. Gleichzeitig sei die Weiterbildungsteilnahme unter den gering Qualifizierten nach wie vor sehr gering und auch in der betrieblichen Praxis sei nur wenig über Fördermöglichkeiten und Bedarfe der Zielgruppe bekannt. Es gelte daher Zugangshürden abzubauen und die bestehenden Beratungsstrukturen noch stärker mit Grundbildungsexpertise auszustatten.

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„Arbeitsorientierte Grundbildung nimmt einen zentralen Stellenwert ein bezogen auf den Fachkräftebedarf, bezogen auf die Teilhabe aller Erwachsener an einer dynamischen Wissensgesellschaft und bezogen auf kontinuierliche Bildungschancen auf der ganzen Lebensspanne.“

Bildungsketten für Grundbildung

Das sehen auch die Bundesländer so, die durch Jan Benedyczuk, Staatssekretär für Bildung und Kultur des Saarlandes, vertreten waren. „Allgemeine und berufliche Weiterbildung gehören untrennbar zusammen. Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie gerade sind und ihnen Angebote machen. Ob dies am Arbeitsplatz oder in Familienbildungszentren ist.“

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Die Länder haben vielerorts Grundbildungszentren aufgebaut und niederschwellige Angebote ausgebaut. Entscheidend sei die Nachhaltigkeit dieser Bemühungen. Hierfür sei es notwendig, dass Bund und Länder sich darüber verständigen, wie eine zukünftige Förderung aussehen kann. Vorbild könnten aus Sicht der Länder die Bildungsketten sein, die im Bereich des Übergangs Schule-Beruf in allen Ländern auch dank der Unterstützung des BMBF bereits erfolgreich umgesetzt werden.

Arbeitsorientierte Grundbildung als ein Baustein zur Fachkräftesicherung

Wie kann arbeitsorientierte Grundbildung in Aus- und Weiterbildungsstrukturen verankert werden? Die erste Diskussionsrunde fasste die wichtigsten Erfahrungen aus den Pilotprojekten der AlphaDekade und die Herausforderungen für die Zukunft zusammen.

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Auf dem Podium saßen: Thomas Friedrich (Bundesagentur für Arbeit), Prof. Dr. Michael Heister (Bundesinstitut für Berufsbildung), Dr. Peter Janßen (Bildungswerk der Nordrhein-Westfälischen Wirtschaft e.V.) und Barbara Menke (Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben e.V.).

Auch in den Unternehmen wachse das Bewusstsein dafür, dass die Potenziale von Beschäftigten mit Grundbildungsbedarf mehr genutzt werden müssen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Frau Menke und Herr Dr. Janßen waren sich einig, dass ein sozialpartnerschaftlicher Ansatz, in dem sowohl die Perspektive der Unternehmen als auch die der Beschäftigten berücksichtigt werden, eine wichtige Voraussetzung für gelingende Grundbildung im Betrieb sei. Ebenso hätten sich auf das Unternehmen abgestimmte Lernangebote bewährt, die an den jeweiligen Arbeitsanforderungen und individuellen Kompetenzen ansetzen. Die Unternehmen sähen in der Regel schnell, dass mehr Grundbildung im Unternehmen zu besseren Arbeitsabläufen, höherer Qualität und besserer Kommunikation führt. Und die Lernenden könnten das Gelernte unmittelbar anwenden, wodurch ihre Motivation erhöht werde.

Herr Friedrich betonte, dass zahlreiche Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit auch für die Förderung von Grundkompetenzen eingesetzt werden können. Im Rahmen des neuen Bürgergelds würden die Fördermöglichkeiten nun noch einmal deutlich erweitert. Aufgrund der Komplexität der Förderstrukturen seien jedoch Beratungs- und Vernetzungsstrukturen vor Ort gleichermaßen wichtig.

Arbeitsorientierte Grundbildung braucht einen Kümmerer / eine Kümmererin

Die Diskussion zeigte, dass arbeitsorientierte Grundbildung ein beratungsintensives Geschäft ist. Es brauche eine Person, die sich kümmert – die Bedarfe erkennt, Netzwerke schafft und konkrete Angebote anstößt. Herr Prof. Dr. Heister führte hier das Beispiel der Jugendberufsagenturen an, die ein Modell für Weiterbildungs- oder Grundbildungsagenturen sein könnten. Wie und auf welcher Ebene sich dieser Kümmerer oder die Kümmerin auch nach Ende der Projektförderung implementieren lässt, bleibe Thema der kommenden Jahre.

Im Anschluss wurden die verschiedenen Teilsysteme, in denen arbeitsorientierte Grundbildung eine Rolle spielt, in vier parallelen Fachforen näher beleuchtet. Die Vertreter*innen der arbeitsorientierten Projekte kamen hier mit Mitarbeitenden von Jobcentern und Arbeitsagenturen, Branchenverbänden, Kammern und Berufsschulen ins Gespräch.

Erste Anzeichen erfolgreicher Institutionalisierung

Was meint Institutionalisierung der Grundbildung in der Arbeitswelt und was braucht es, damit sie erfolgreich ist? Dazu lieferte Prof. Dr. Michael Schemmann von der Universität zu Köln eine wissenschaftliche Einordnung.

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Nach einer Definition der Begriffe Institution und Institutionalisierung näherte sich Schemmann mithilfe eines Mehrebenenmodells der Kernfrage, wie arbeitsorientierte Grundbildung für Erwachsene möglich wird. Er zeigte auf, in welcher Weise die verschiedenen Phasen der Förderung von arbeitsorientierter Grundbildung seitens des BMBF Impulse für eine Institutionalisierung von AoG geliefert haben. Auch der regionalen Ebene komme hier eine entscheidende Bedeutung zu. Schemmanns Forschung zeigt: Arbeitsorientierte Grundbildung ist in den verschiedenen Bundesländern nach wie vor unterschiedlich ausgeprägt. „Aber auch in Regionen, in denen es weniger Akteure und ein geringeres Interaktionsmuster gibt, haben wir ein vielfältiges und differenziertes Leistungsspektrum gefunden.“ Auch die Nationale Weiterbildungsstrategie sei ein Zeichen für eine erfolgreiche Institutionalisierung der arbeitsorientierten Grundbildung auf der politischen Agenda.

Um dieses Spektrum auszubauen und abzusichern sei die Kooperation über alle Ebenen hinweg stärker in den Blick zu nehmen. Auch Schemmann unterstrich die Bedeutung der Kümmerer*innen, die Türen öffnen, Strukturen schaffen und Angebote initiieren. Sie zu verankern sei nur gemeinsam zu erreichen.

Im Anschluss an den Vortrag wechselten die Teilnehmenden in vier parallele Fachforen, in denen Fragen der Beratung, Professionalisierung, des digitalen Lernens und Lehrens und des Mehrwerts von arbeitsorientierter Grundbildung bearbeitet wurden.

Was Deutschland von den Nachbarländern lernen kann

Die zweite Podiumsrunde warf dann noch einen Blick ins Europäische Ausland. Mit der „Initiative Erwachsenenbildung“ (IEB) ist es in Österreich durch die Vereinbarung von Bund und Ländern 2012 gelungen, eine Struktur für den Erwerb grundlegender Kompetenzen sowie nachholender Bildungsabschlüsse zu schaffen. Ingrid Kemper von der Geschäftsstelle IEB führte aus, dass die Initiative Erwachsenenbildung „offen ist für alle Bildungsträger – diese haben eine starke Rolle, weil sie die Angebote entwickeln und regional gut vernetzt und verankert sind und auch Basisbildungsangebote in ländlichen, strukturschwachen Regionen ermöglichen“. Um mehr Beschäftigte in Unternehmen zu erreichen, bräuchte es in Österreich jedoch eine eigene Programmstruktur, bei der sich Bildungsträger nicht nur an Teilnehmende, sondern an Betriebe richten.

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Auch in Norwegen stellt die Frage der Weiterbildungsbeteiligung von gering literalisierten Erwachsenen eine zentrale Herausforderung dar. Astri Pestalozzi von der norwegischen Direktion für Hochschulbildung, Ausbildung und Kompetenz sieht die Stärken des “SkillsPlus-Programms“ in der Zusammenarbeit von Bund, Regionen und Sozialpartnern. „Ein wichtiger Erfolgsfaktor des Programms ist die Verankerung in den Betrieben.“ Antragsberechtigt sind Bildungsanbieter in Kooperation mit Unternehmen. „Sie müssen die betrieblichen sowie die individuellen Grundbildungsbedarfe definieren, planen und durchführen“. Dadurch sei die Zielgruppe über die Betriebe vergleichsweise leicht zu erreichen.

EU-Weiterbildungspfade als Verstärker nationaler Politiken

Im Auftrag der EU-Kommission führt Frau Steinheimer von 3s Forschung & Beratung für Lebenslanges Lernen eine Evaluation zur Umsetzung der Ratsempfehlung für „Weiterbildungspfade: neue Chancen für Erwachsene“ (2016) in der europäischen Union durch. Erste Ergebnisse der evaluativen Einschätzung der Empfehlung zeigten, „dass die Empfehlung zur Verstärkung, Stabilität und Kontinuität bereits bestehender nationaler Politiken und Praktiken im Bereich der Grundbildung beigetragen hat. Umbruch- und Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie haben den Blick für die Bedeutung von Basisbildung noch einmal geschärft“.

Auf europäischer Ebene dominierten eher Maßnahmen zur allgemeinen Grundbildung, arbeitsorientierte Grundbildung sei zumeist in Projekte eingebettet. Als Ausnahme verwies Eva Steinheimer auf die Schweiz. Mit der Initiative „Einfach besser (Lesen, Schreiben, Rechnen, Computer) am Arbeitsplatz“ fördern in der Schweiz Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt maßgeschneiderte Kurse für Betriebe.

Von Europa zurück ins Lokale: Sabrina Sachsenhauser von der VHS Mainburg hat sich gut ausgetauscht, in den Podien aber die Perspektive der ländlichen Regionen vermisst. „Es ist eine ganz eigene Herausforderung die Zielgruppen zu erreichen, wenn die Menschen weite Wege zurücklegen müssen und dabei auf das Auto angewiesen sind.“ Zufrieden fuhr Gerhard Prange zurück nach Berlin, der als Lerner-Experte den Stand des ALFA-Mobils begleitete. „Ich habe viele gute Gespräche geführt und mich immer ernst genommen gefühlt. Ich fand das dufte.“

Die ausführliche Dokumentation aller Programmpunkte der Konferenz finden Sie auf dieser Seite.