„Deine Schwäche gehört nicht in die Öffentlichkeit!“ – Bruder eines Betroffenen
Als Reaktion auf ihr Outing erfahren Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten immer wieder Unverständnis, Ablehnung und Ausgrenzung, wie das obige Zitat aus der Familie eines Lernbotschafters deutlich macht. Umso wichtiger ist es also, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen und durch gezielte Aufklärung zu entstigmatisieren. Um auch in herausfordernen Situationen, u.a. bei Interviewterminen in Zeitung, Radio oder TV, eine wahrheitsgemäße und respektvolle Darstellung der eigenen Person und Lebensgeschichte zu erreichen, wurden in verschiedenen Seminaren und Workshops Strategien für einen konstruktiven Umgang mit der Presse entwickelt.
Eine Gruppe erarbeitete Leitlinien dazu, wie man als Lernbotschafterin oder Lernbotschafter in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden möchte: Hier stand der Wunsch nach einem wertschätzenden Austausch im Vordergrund, mit den eigenen Schwierigkeiten von der Presse und Bevölkerung ernst genommen und verstanden zu werden und so einem Schubladendenken zu entkommen. Es wurde sichtbar, dass bestimmte Fragen unter den Lernenden durchaus kontrovers diskutiert werden. Das betrifft zum Beispiel die Art und Weise, wie man über die Lese- und Schreibschwäche allgemein und für sich persönlich spricht.
Eine zweite Gruppe beschäftigte sich wiederum damit, einen roten Faden für Interviewsituationen zu entwickeln, auf den man in schwierigen Gesprächsmomenten zurückgreifen und so die Preisgabe von allzu persönlichen Informationen verhindern kann: Was sind konkrete Ursachen für geringe Literalität? Was sind Gründe und Motivationsfaktoren dafür, noch einmal einen Lese- und Schreibkurs zu besuchen? Vor allem aber lag der Fokus auf der Sammlung positiver Aspekte: Was habe ich Schönes erlebt, seitdem ich besser lesen und schreiben kann?
Besonders für die sieben Lernenden, die das erste Mal teilnahmen, stellte das Medientraining eine besonders wertvolle Möglichkeit dar, sich mit anderen Betroffenen über Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.
„Ich habe noch nie sowas erlebt wie hier, dass man ernstgenommen wird!“ – Armin H., Lernbotschafter
Ergänzt wurden die Workshops von einem Seminar zum Thema Medienrecht, in dem Rechte und Pflichten sowie Kniffe für den Umgang mit der Presse im Mittelpunkt standen. So wurde z. B. geklärt, welche Bildrechte eine Person an einem Foto besitzt oder ob und wie man die Korrektur einer Falschdarstellung einfordern kann. Aber auch praktische Übungen kamen nicht zu kurz – so gab es z.B. Infos zur Wirkung von Körpersprache und eine Analyse von Kameraaufnahmen, bei denen einige lustige Versprecher allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern das ein oder andere Lachen entlockten.
Bei all den ernsten und nachdenklich stimmenden Themen gab es auch zahlreiche erheiternde und bestärkende Momente und es wurde durch kleine Bewegungseinheiten für Ausgleich gesorgt. Selbst nach dem intensiven Workshoptag am Samstag suchten die Teilnehmenden zusätzlichen Austausch untereinander. So trafen sich am Abend diejenigen Lernenden, die in Selbsthilfegruppen aktiv oder daran interessiert sind, zum weiterführenden Gespräch.
Insgesamt blickt das Projekt ALFA-Mobil auf eine erfolgreiche Veranstaltung zurück, die den Einsatz der Lernbotschafterinnen und Lernbotschafter für die Öffentlichkeitsarbeit würdigt und sie in ihrer Weiterentwicklung unterstützt. Mit neuen Impulsen, Erkenntnissen und Kontakten im Gepäck verließen die Teilnehmenden das Medientraining mit einem Lächeln auf den Lippen und einem positiven Blick in die Zukunft.
Text: Projekt ALFA-Mobil