Teilhabe-Barrieren zu Grundbildung abbauen und Erkenntnisse teilen - 20 Projekte entwickeln Lösungen

Das Plenum © BMBF/ AlphaDekade

Warum ist es für die Entwicklung von Lern- und Beratungsangeboten in der Grundbildung so wichtig, den Alltag und die Lebensumstände von Menschen mit niedrigen Schriftsprachkompetenzen zu kennen? Wie können Weiterbildungs- und Sozialsysteme verbunden werden, um Teilhabe-Barrieren zur Grundbildung aufzulösen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der zweitägigen Auftaktveranstaltung des neuen Förderschwerpunkts "Lebensweltlich orientierte Entwicklungsvorhaben in der Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener".

Wie lassen sich die neuen Lebenswelt-Projekte in die AlphaDekade einordnen? Und wie funktioniert die Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Partnern, Projektträgern? Welche Gremien sind entscheidend? Antworten auf diese Fragen gaben Thomas Bartelt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Karin Küßner, die Leiterin der Koordinierungsstelle der AlphaDekade (KSA) zu Beginn der Veranstaltung.

Der Einfluss des Milieus auf die Literalität

Wie wirken sich Lebensumstände auf die Literalität von Kursteilnehmenden aus? Wie gehen Menschen aus unterschiedliche Milieus mit fehlenden Schriftsprachkompetenzen um? Und welche Schlüsse können wir daraus ziehen? Dr. Natalie Pape, Universität Duisburg-Essen, stellt ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in einem Input-Vortrag vor und empfiehlt den Projektpartnern, mit ihren Angeboten am Alltag und den vorhandenen Kompetenzen der Menschen anzusetzen.

An der Lebenswelt anknüpfen und die Zielgruppe einbeziehen

In welchen Strukturen bewegen sich Menschen mit Grundbildungsbedarf? Was motiviert sie, zu lernen? Welche Angebote führen zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung? Dr. Sabine Schwarz gibt Einblicke in die jahrelange Erfahrung der Lernenden Region Netzwerk Köln e. V. und stellt Ergebnisse des abgeschlossenen BMBF Projekts "Alphabetisierung und Grundbildung für Erwachsene im Sozialraum " vor. Ein Angebot ist erfolgreicher, wenn es gemeinsam mit der Zielgruppe entwickelt wird. Möchte man bestimmte Menschen erreichen, sollte man sie dort ansprechen, wo sie sich im Alltag aufhalten und an Themen anknüpfen, die sie aktuell bewegen. Ziel der Angebote sollte der Abbau von Teilhabebarrieren sein. Systemübergreifende Kooperationen von sozialer Arbeit und Erwachsenenbildung sind dafür sinnvoll. Diese Ansätze konkretisiert Dr. Schwarz an einem aktuell mit einer alevitischen Gemeinde entwickeltem Theater-Projekt.

Frau Dr. Sabine Schwarz © BMBF/ AlphaDekade
Dr. Sabine Schwarz rät dazu, Teilnehmende bei der Entwicklung von Angeboten einzubinden.

Innovative Lernarrangements und Strategien der Teilnehmenden-Gewinnung

In Gruppenarbeiten stellen die Teilnehmenden einander ihre Projekte vor und tauschen sich über innovative Lernarrangements aus, diskutieren über Strategien der Teilnehmenden-Gewinnung und vielversprechende Partner und Institutionen, die eingebunden werden könnten. Die Frage, wie die Konzepte und Angebote nach Projektende in bestehende Strukturen eingebunden und somit weitergeführt werden können, beschäftigt die meisten Projekte. Der Transfer wird dabei durch die Koordinierungsstelle der AlphaDekade unterstützt.

Die Projektaktivitäten reichen von der aufsuchenden Grundbildungsarbeit im Fußball Stadion bis hin zur 1 zu 1 Betreuung von Lerninteressierten durch ehrenamtliche Lernbegleiter. Insbesondere niedrigschwellige und alltagsrelevante Lernmöglichkeiten und -inhalte werden in den 20 geförderten Projekten in den nächsten drei Jahren entwickelt. Wie Übergänge von der Ansprache, zur Beratung, in erste alltagsrelevante Angebote und dann in weiterführende Lernangebote gestaltet werden müssen, wird in den Projekten untersucht. Dadurch sollen mehr Erwachsene die Möglichkeit bekommen, ihre individuellen Grundbildungskompetenzen zu verbessern.

Mehrgenerationenhäuser – ein Beispiel für den lebensweltlichen Zugang

Als Beispiel guter Praxis stellen Johanna Thon, Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, und Antje Winkler (KSA) die bundesweite Zusammenarbeit mit Mehrgenerationenhäusern vor. Diese sind im Sozialraum gut verankert, regional bekannt und werden intensiv genutzt. Ihr niedrigschwelliger Ansatz bietet ein hohes Potenzial für Grundbildungsangebote. Auf diese Weise werden Menschen erreicht, die man mit herkömmlichen Maßnahmen bisher nicht erreichen konnte.

Erst Zielgruppe definieren, dann Angebot entwickeln

Eine für die Alphabetisierung und Grundbildung sehr relevante Zielgruppe, die 16- bis 35jährigen, stellt Dr. Simone Ehmig, Stiftung Lesen, in Ihren Vortrag über das Forschungsprojekt REACH vor. Diese Zielgruppe ist deswegen so wichtig, da sie noch eine lange Lebensspanne vor sich und ein großer Teil von ihnen Kinder hat. Die jungen Erwachsenen lassen sich durch einen lebensweltlichen Ansatz gut erreichen, zum Beispiel über die Themen Kindererziehung oder Freizeitaktivitäten wie Fußball. Dr. Ehmig appelliert an die Projektpartner, ihre Zielgruppe möglichst genau zu definieren, weil man nur so passgenaue Angebote entwickeln kann. Da die Gruppe der funktionalen Analphabeten sehr heterogen ist, sollte vorab zum Lernangebot eine genaue Analyse der anvisierten Zielgruppe nach beispielsweise Interessen/Hobbies, Kompetenzen, Aufenthaltsorte, Konsum-/Mediennutzungsverhalten erfolgen. Die Stiftung Lesen sieht ihre Aufgabe im Rahmen der AlphaDekade auch darin, ihre Erkenntnisse für alle Akteure zugänglich zu machen, um gemeinsam daraus Schlüsse für die Praxis zu ziehen.

Frau Dr. Simone Ehmig © BMBF/ AlphaDekade
Dr. Simone Ehmig appelliert, vor der Entwicklung des Angebots, die Zielgruppe genau zu definieren.

Open Educational Resources: Eigene Materialen teilen und für die Weiterentwicklung freigeben

Mit einem Appell, in den Projekten zu entwickelnde Materialien zu teilen, richtet sich auch Jan Koschorreck, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, an die Teilnehmenden. Er stellt sehr anschaulich das Prinzip der Open Educational Resources (OER) vor. Das Prinzip umfasst die Bereitstellung von Bildungsmaterialien, die jeder verwenden und legal sowie kostenfrei vervielfältigen darf. Sogenannte OER Lizenzen können dafür genutzt werden und sind rechtlich abgesichert. Auf diese Weise können bereits vorhandene Kenntnisse und Materialien breiter genutzt und weiterentwickelt werden. Bereits in der Materialerstellung sollte deshalb berücksichtigt werden, dass mit frei lizenzierten Bildmaterial (erhältlich in diversen Bildportalen) oder im Open Document Format gearbeitet wird. Koschorreck betonte, dass man mit der Bereitstellung der eigenen Materialien auch nicht seine Urheberrechte aufgebe, sondern lediglich zustimme, dass das Material genutzt und weiterentwickelt werden dürfe, ohne dass der Urheber gefragt werden müsse. Der Gemeinschaft die eigenen Ideen zur Verfügung stellen, eine Offenheit zu entwickeln und dadurch Zugangswege zu erleichtern, das ist ein Weg von dem letztendlich alle profitieren, so sein Appell an alle Teilnehmenden. OER stellt Nachhaltigkeit und Rechtssicherheit her.

„Einfach mal die Kuh fliegen lassen“

Mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick auf die zukünftige Arbeit, bei der man als Projekt auch mal „die Kuh fliegen lassen, kreativ und gleichzeitig planerisch-strategisch agieren dürfe“ dankt Timm Helten (Koordinierungsstelle AlphaDekade) den Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung zum neuen Förderschwerpunkt für ihre Mitarbeit. „Die BMBF Projekte werden als Innovationstreiber mit ihren Ergebnissen auch weiterhin einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der AlphaDekade beitragen“.


Sollten Sie sich für die Präsentationen der Vorträge interessieren, melden Sie sich bitte bei der

E-Mail: Koordinierungsstelle der AlphaDekade

.