Welches schriftsprachliche Niveau ermöglicht gesellschaftliche und berufliche Integration?
Gundula Frieling, Deutscher Volkshochschul-Verband, präsentiert in ihrem Input Zahlen aus dem IAB-Forschungsbericht 14/2017, einer Längsschnittbefragung von 4.500 Geflüchteten. Demnach haben fünf Prozent der befragten Geflüchteten keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse in ihrer Muttersprache oder der jeweiligen offiziellen Landessprache und über 90 Prozent der Geflüchteten verfügen vor der Einreise nach Deutschland über keine mündlichen oder schriftsprachlichen Deutschkenntnisse. Zwei Drittel der Befragten streben einen Hochschul- oder beruflichen Bildungsabschluss in Deutschland an, der sehr gute (schriftliche) Deutschkenntnisse voraussetzt.
Ein Blick in die Statistik der Integrationskurse mit Alphabetisierung offenbart jedoch, dass nur 15 Prozent der Teilnehmenden das Niveau B 1 erreichen. Für die erfolgreiche Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist das Niveau zu gering.
Dr. Alexis Feldmeier García, Universität Münster, wirft in seinem Vortrag die Frage auf, ab welchem schriftsprachlichen Niveau gesellschaftliche Teilhabe und berufliche Integration möglich sei und ob Bildungssprache tatsächlich immer als Standard gelten sollte. Er stellt das Konzept der Fossilisierung der Sprache vor, wonach der Großteil der Zweitsprachlernenden ab der Pubertät unabhängig von Motivation, Intensität und Qualität des Unterrichts oder Dauer des Aufenthalts eine Fremdsprache oft nur noch auf einem niedrigen Niveau (unterhalb von B2) erlernen kann und dann kaum noch Fortschritte macht. Vor dem Hintergrund, dass viele Geflüchtete schulisch nicht sozialisiert seien, plädiert Dr. Feldmeier für ein ressourcenorientiertes Vorgehen, dass das Hörverstehen und Sprechen in den Vordergrund stellt (A1/A2-Niveau) und die Verwendung einer leichten Sprache fördert. Es kommt zu einer regen Diskussion über die Validität dieser Forschungsergebnisse und mögliche Konsequenzen für die pädagogische Praxis und die Arbeitswelt.
Wie können Übergänge in die Alphabetisierungskurse gewährleistet werden?
Gundula Frieling fordert den Ausbau des Integrationskurssystems, z.B. durch Zusatzstunden in einem Spezialmodul A2 und einem Übergangsangebot zwischen B1- und B2-Niveau, um den Lernerfolg der Teilnehmenden zu erhöhen. Für eine erfolgreiche Integration der Geflüchteten sind insgesamt mehr Kurse und höhere Stundenzahlen notwendig, für die es einer Regelförderung bedarf. Der Aufbau eines kontinuierlichen Angebots von Weiterbildungspfaden mit entsprechender Beratung und Begleitung sind erforderlich, um Anschlussmöglichkeiten und Übergänge zu ermöglichen.
Frau Biskamp, Hamburger Bildungsträger KOM gGmbH, berichtet aus ihrer Praxis von Kursen, die sich an beide Zielgruppen richten, dabei jedoch hohe Anforderungen an die Dozenten stellen.
Frau Gunzenheimer, VHS Hannover, stellt das dort entwickelte Konzept der VHS Chance vor, dass wie eine Art Bildungskette verschiedene Angebote wie Alphabetisierungskurse, Nachholen der Schulabschlüsse und berufsbezogene Kurse miteinander verbindet und durch ein zusätzliches Beratungsangebot ergänzt.
Welche Qualifizierung und Unterstützung benötigen die Lehrenden und Einrichtungen?
Es wird deutlich, dass Lehrkräfte auf die Besonderheit der Zielgruppen und die Heterogenität in ihren Kursen mit speziellen Angeboten vorbereitet werden müssen. Vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs müssen Lehrkräfte in der Alphabetisierung nicht nur entsprechend qualifiziert werden, auch die vertraglichen Rahmenbedingungen und die Vergütung müssen sich deutlich verbessern, um ein Abwandern an Schulen oder in das Integrationssystem zu verhindern. Ebenso bedarf es einer gesonderten Förderung von sozial(pädagogisch)er Begleitung.
Fazit
Einig sind sich alle Beteiligten, dass Geflüchtete stärker in den Fokus genommen werden müssen, da viele von den seit 2015 nach Deutschland Zugewanderten früher oder später aus den Integrationskursen herausfallen und im Anschluss aufbauende Angebote der Grundbildung und Alphabetisierung benötigen. In der AlphaDekade müssen deshalb zeitnah geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden: passende Materialien und Lernangebote, die Geflüchtete mitberücksichtigen, bessere Qualifizierungen und finanzielle Bedingungen für Lehrkräfte und eine Regelförderung für die Teilnehmenden.
Beteiligte
Einführung und Moderation
Heike Maschner, Ministerium Ministerium für Kultur und Wissenschaft
des Landes Nordrhein-Westfalen
Input: Befunde und Thesen zu Alphabetisierung und Integration
Gundula Frieling, Deutscher Volkshochschul-Verband
Input: Geflüchtete in Lernangebote der Alphabetisierung und Grundbildung
Dr. Alexis Feldmeier García, Universität Münster
Diskussionsrunde: Erfahrungen und Anforderungen aus der Praxis
Christine Biskamp, KOM gGMBH Hamburg
Janine Gunzenheimer, VHS Hannover