Was genau ist Health Literacy bzw. Gesundheitskompetenz und wie ist es um die Gesundheitskompetenz in Deutschland bestellt?
Dr. Kai Kolpatzik, AOK-Bundesverband, stellt in seinem Beitrag zunächst die in Deutschland angewandte Definition von Gesundheitskompetenz vor. Demnach umfasst Gesundheitskompetenz das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, verstehen, beurteilen und anzuwenden, um Entscheidungen treffen zu können, die zur Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität und Gesundheit beitragen. Funktionale Analphabeten haben grundsätzlich kaum Zugang zu gesundheitlichen Informationen und können daher in der Regel keine ausreichende Gesundheitskompetenz erwerben. Folgen geringer Gesundheitskompetenz sind beispielsweise ein risikoreicheres Gesundheitsverhalten, geringere Inanspruchnahme von Angeboten zur Prävention und Früherkennung sowie höhere Behandlungs- und Gesundheitskosten.
Eine repräsentative Studie der Universität Bielefeld zu dem Thema kommt zu dem Ergebnis, dass rund 44 Prozent der Deutschen eine eingeschränkte und weitere zehn Prozent sogar eine unzureichende Gesundheitskompetenz aufweisen. Die Ergebnisse waren Anlass, einen Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz unter Mitwirkung von Experten aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung zu entwickeln, der im Februar 2018 veröffentlicht wurde.
Wie können gesundheitsbezogene Themen mit Alphabetisierung und Grundbildungsarbeit verknüpft werden?
Gesundheitsbezogene Themen sind eng mit der Lebens- und Arbeitswelt eines jeden Menschen verbunden. Sie gehören zu den häufigsten Anlässen aktiver Informationssuche, z.B. auf Ratgeberseiten im Internet, und bieten daher auch Anknüpfungspunkte für die Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit.
Das Bundeszentrum für Ernährung hat diesen Ansatz aufgegriffen und Materialien für Alphabetisierungskurse entwickelt mit dem Titel „Buchstäblich fit mit Ernährung und Bewegung„. Dr. Barbara Kaiser stellt in ihrem Vortrag anschaulich dar, wie die Themen „gesunde Ernährung“ und „Bewegung“ als Vehikel genutzt werden können, um besonders schwer erreichbare Zielgruppen zu motivieren, ihre Alltag- und Gesundheitskompetenz zu erweitern. Durch den hohen Alltagsbezug beider Themen können diese unmittelbar in Alphabetisierungsangeboten eingesetzt werden. So lernen die Teilnehmenden neben dem Schriftspracherwerb ihr eigenes Ernährungs- und Bewegungsverhalten zu reflektieren, Lebensmittel zuzubereiten oder wie sie Bewegung in ihren Alltag integrieren können. Da bei diesen Themen jede/r mitreden kann, werden Lernende zu Experten und die „genussvollen“ Erinnerungen und Emotionen stärken den Lernerfolg.
Ramazan Salman, Ethno-Medizinisches Zentrum, bestätigt das hohe Interesse an gesundheitlichen Themen und hebt die Bedeutung kultur- und sprachspezifischer Vermittlung für die Zielgruppe der Migrantinnen und Migrantinnen hervor. Seine Organisation bietet seit vielen Jahren bundesweit Mediatoren-Schulungen zum deutschen Gesundheitssystem für Migrantinnen und Migranten an, damit diese ihr Wissen in ihrer Muttersprache in ihren Communities weitergeben.
Auch im Gesundheitssystem sollte das Thema Alphabetisierung und Grundbildung stärker in der Infrastruktur verankert und entsprechende Berufsgruppen – von den Ärzten bis zu den Hebammen – für die Ansprache relevanter Zielgruppen sensibilisiert werden. Auch Betriebe melden in zunehmendem Maße den Bedarf, Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz ihres Personals in das Betriebliche Gesundheitsmanagement zu integrieren.
Beteiligte
Einführung und Moderation:
Dr. Sophia Schmidt, VHS Landesverband NRW
Input: Gesundheitliche Grundbildung im Spannungsfeld von Alltagsbewältigung und Alphabetisierung
Dr. Kai Kolpatzik, AOK Bundesverband
Input: Buchstäblich fit – Lesen und Schreiben schmackhaft machen
Dr. Barbara Kaiser, Bundeszentrum für Ernährung
Diskussion
Ramazan Salman, Ethno-Medizinisches Zentrum e.V.