Das Gute vorweg. Die Digitalisierung bietet vielfältige und wahrscheinlich nie dagewesene Chancen für die Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Die Frage ist allerdings wie die Chancen genutzt und der Weg zur Nutzung sinnvoll gestaltet werden kann. Damit setzte der Medienpädagoge Prof. Karsten D. Wolf zum Einstieg seines Impulsvortrags am Kern der derzeitigen fachlichen Diskussion im Spannungsfeld Teilhabe, Digitalisierung und Bildung an. Als Orientierung zukünftiger Entwicklungen präsentierte er sechs Thesen.
These 1: Digitalisierung steigert netto die Anforderung an Alphabetisierung und die berufliche Bildung
Digitale Anwendungen und Technologien sollen den Alltag einfacher und effizienter gestalten. So transferiert der „Google Übersetzer“ Deutsch ins Englische in nur wenigen Schritten. Von der mündlichen Spracheingabe hin zu einem (nahezu) fehlerfreien Text im Englischen, der direkt per Mail Messengerdienste oder Soziale Netzwerke verbreitet werden kann. Prozesse im Alltag und im Arbeitsleben werden automatisiert. Gleichzeitig erhöhen sich die Kompetenzanforderungen, um in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt teilhaben zu können. Menschen mit geringer Alphabetisierung und Grundbildung laufen damit Gefahr, ausgegrenzt zu werden.
These 2: Digitalisierung substituiert auf der Oberflächenstruktur zunächst Alphabetisierung (Illusion von Handlungsmacht)
Um digitale Anwendungen sinnvoll bedienen und nutzen zu können, sind Lesen und Schreiben notwendige Voraussetzungen. Eine App zum Online-Banking setzt beispielsweise voraus, dass Anleitungen, Geschäftsbedingungen und Sicherheitsempfehlungen gelesen und verstanden werden. Ausreichende Lese- und Schreibkompetenzen befähigen demnach dazu, sich digitale Welten zu erschließen und nutzbar zu machen.
These 3: Digitalisierung erhöht das Anforderungsniveau an die (analoge und digitale) Alphabetisierung
Neben ausreichenden Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen sind weitere grundlegende Kompetenzen wie Anwendung und Einsatz von digitalen Geräten und Arbeitstechniken, personale berufliche Handlungsfähigkeit, Selbstmanagement und Selbstorganisationsfähigkeit gefragt. Digitale Welten sind häufig sehr komplex und erfordern vielfältige und gut ausgebildete Kompetenzen.
These 4: Digitale Themen erzwingen zunehmend und vermehrt dynamische curriculare Anpassungen
Internationale Vergleichsstudien wie PIAAC haben gezeigt, dass es vielen Menschen in Deutschland an grundlegenden digitalen Grundkompetenzen fehlt. Die Anforderungen sind im stetigen Wandel und müssen in Lernangeboten zur Alphabetisierung und Grundbildung berücksichtigt werden. Lehrkräfte müssen durch Qualifizierung in die Lage versetzt werden, digitale Grundkompetenzen zu vermitteln und digitale Lernangebote anzuwenden.
These 5: Die Anzahl funktionaler „digitaler Analphabeten“ ist höher als die in der analogen Welt
Durch die Omnipräsenz von digitalen Medien lassen sich digitale und analoge Welten nicht mehr trennen. Das hat beispielsweise grundlegende Auswirkungen auf die Art und Weise wie Menschen kommunizieren.
These 6: Informelles „autonomes“ Lernen in Zeiten einer tiefgreifenden Mediatisierung gewinnt weiter an Bedeutung für berufliches Lernen und wird audiovisueller – und somit zugänglicher
Für das autonome und informelle Lernen bieten digitale Angebote vielfältige Chancen. Durch das Videoportal YouTube lassen sich Bildungsinhalte adressatengerecht vermitteln. Großes Potential zum orts- und zeitunabhängigen Lernen bieten Smartphones.
Die Digitalisierung wird die Alphabetisierungs- und Grundbildungspraxis grundlegend verändern. Die Bedürfnisse der Lernenden sollten stärker berücksichtigt und mobile Anwendungen für das selbständige, informelle und individuelle Lernen genutzt werden. Eine bewährte und zentrale Gelingensbedingung für erfolgreiche Lernangebote wird weiterhin bestehen bleiben: der persönliche Kontakt und Dialog von Lernenden untereinander und mit der Lehrkraft. Die soziale Komponente ist für den Lernerfolg in der Alphabetisierung und Grundbildung grundlegend.
Praktische Beispiele digitaler Lernangebote wurden in Forum A weiter diskutiert.