Forum C: Numeralität – eine unterschätzte Domäne der Grundbildung?

Das Konzept „Numeralität als soziale Praxis“

In ihrem Vortrag erläutert Prof. Dr. Christine Zeuner das Konzept der Numeralität als soziale Praxis, das jeglichen Gebrauch und jegliche Anwendung mathematischer Fähigkeiten und Kenntnisse im Rahmen alltäglicher Handlungen bezeichnet. Es wird danach gefragt, warum Menschen bestimmte numerale Praktiken anwenden und in welchem Kontext sie es tun. Es wird nicht nach deren Niveau und dem adäquaten Einsatz gefragt. Damit steht das Konzept im Gegensatz zu der Annahme, dass Mathematik oder Rechnen eine neutrale Kulturtechnik ist. Vielmehr plädiert die Professorin anzuerkennen, dass es vielfältige Anwendungssituationen und –strategien von numeralen Praktiken gibt, die sich immer auch auf gesellschaftliches Wissen beziehen, innerhalb derer Menschen Mathematik lernen und anwenden.

Numerale Praktiken im Alter

Dr. Melanie Benz-Gydat stellt im Anschluss das Teilprojekt „Numeralität als soziale Praxis im Wandel der Zeit“ vor, in dem untersucht wurde, wo und in welcher Form Numeralität im Alltag älterer Menschen (64-92 Jahre) vorkommt. Die Auswertung der Interviews zeigt, dass numerale Praktiken in vielfältiger Weise in verschiedenen Lebensbereichen angewendet werden. So etwa bei der Lebensmittelzubereitung beim Abwiegen von Zutaten eines Kochrezeptes, in der Gesundheitsvorsorge bei der regelmäßigen Blutdruckmessung oder in der privaten Buchhaltung beim Führen eines Haushaltsbuches. Numerale Praktiken sind im Alltag und der Lebenswelt der Personen fest integriert und von übergeordneten sozialen Praktiken bestimmt, wie z.B. den Bedingungen des Renten- oder Gesundheitssystem. Es wird deutlich, dass Menschen unabhängig ihres formalen mathematischen Wissens numerale Praktiken in unterschiedlichen Situationen einsetzen, weiterentwickeln und subjektiv begründen.

Numerale Praktiken im Umgang mit knappen Finanzen

Katharina Angermeier und Dr. Wiebke Curdt geben einen Einblick in numerale Praktiken im Umgang mit knappen Finanzen von Menschen mit Lernschwierigkeiten und von Menschen in Überschuldungen. Es wird deutlich, dass eine Vielzahl von Faktoren die Anwendung numeraler Praktiken beeinflussen, wie z.B. die sozioökonomische Ausstattung (z.B. die Höhe und Regelmäßigkeit von Einkommen), die formalen Kontakte zu Behörden (z.B. Jobcenter), soziale Beziehungen (Familie, Partnerschaft, Freunde und professionell Tätige) oder die individuellen Fähigkeiten und subjektiven Bedeutungszuschreibungen, auf die die Personen im Sinne von Ressourcen zurückgreifen können. Bei der Gegenüberstellung der beiden Kontexte wird schnell deutlich, wie sich die Einflussfaktoren verschieben und welche numeralen Strategien im Umgang mit knappen Finanzen jeweils angewandt werden.

Die Teilprojekte geben Hinweise, auf welche Weise die vielfältigen numeralen Praktiken, die Menschen anwenden, auch für die didaktische Gestaltung in der Grundbildung Erwachsener genutzt werden können. Für die Bildungspraxis ist es wichtig, diese vielfältigen numeralen Praktiken, Fähigkeiten und Strategien anzuerkennen, zu würdigen und so eine ressourcenorientierte Perspektive einzunehmen.

Moderation und Einführung:
Monika Tröster, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

Referentinnen:
Prof. Dr. Christine Zeuner, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Dr. Melanie Benz-Gydat, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Katharina Angermeier, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Dr. Wiebke Curdt, Universität Hamburg