Aktuelle Entwicklungen in den Ländern

Digitale Grundbildung hat hohe Priorität

Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt - sei es beim Online-Shopping, Home-Schooling oder bei der Suche im Internet nach Informationen zum Schutz vor dem Corona-Virus. So standen Lernende ebenso wie Kursleitende kurzfristig vor der Herausforderung, Lernangebote, die bislang in Präsenz durchgeführt wurden, auf Online-Formate umzustellen. Dr. Roland Peter vom Kultusministerium Baden-Württemberg hebt hervor, dass viele Kursleitende kreative Lösungen gefunden haben, ihre Teilnehmenden bei der Stange zu halten. Er weist zudem darauf hin, dass schon vorhandene Herausforderungen durch Corona verstärkt worden sind. So haben gering literalisierte und gering qualifizierte Erwachsene ein erhöhtes Risiko, bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Digitalisierung abgehängt zu werden.

Thomas Schauer aus Bayern weist ergänzend darauf hin, dass auch die Netzwerkarbeit der Akteure vor Ort durch die Pandemiesituation erschwert wurde. Ein wichtiges Kriterium für die erfolgreiche Umsetzung von digitalen Lernformaten ist aus seiner Sicht, dass Teilnehmende schon vorher auf digitale Kursformate vorbereitet werden, was in der aktuellen Situation aber leider nicht im gewünschten Umfang möglich war. Dr. Ulrich Raiser von der Berliner Senatsverwaltung ergänzt, dass bei der Vermittlung von Grundbildungskompetenzen der unmittelbare Kontakt zur Zielgruppe ebenso elementar ist wie ein strukturiertes Kursformat und die soziale Funktion von Lernangeboten nicht zu vernachlässigen ist, wenn man Teilnehmende nicht verlieren will.

Dana Gröper vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen erläutert, dass sich das große Engagement vieler Lehrkräfte in der Coronazeit auch im gestiegenen Interesse an Fortbildungen, vor allem im Bereich Digitalisierung, gezeigt hat. Das im Herbst 2020 gestartete Projekt „Digital Campus Niedersachsen“, soll dazu beitragen soll, die digitale Infrastruktur in der Erwachsenenbildung zu stärken und die digitale Grundbildung auszubauen.

Gespräch Ländervertreter Alphabetisierung
Die Gesprächsteilnehmenden unterstreichen die Bedeutung der Grundbildung als „Kitt der Gesellschaft“. Als ein fester Bestandteil des Bildungssystems kann Grundbildung dazu beitragen, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken und mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Schaffung von Zugangswegen bleibt Daueraufgabe

Ein Blick auf die Ergebnisse der ersten Hälfte der AlphaDekade zeigt, dass in allen Ländern vielfältige Initiativen und Maßnahmen initiiert und umgesetzt wurden. Betrachtet man die Teilnehmendenzahlen von Alphabetisierungs- und Grundbildungsangeboten wird aber auch deutlich, dass noch weitere Anstrengungen notwendig sind. Thomas Schauer weist darauf hin, dass weiterhin Zugangswege gefunden werden müssen, um gering literalisierte Menschen in ihren Lebenswelten dort abzuholen, wo sie für Bildungsangebote sensibel sind und selbst einen Bedarf und einen Nutzen sehen, diese wahrzunehmen. Dem schließt sich auch Dana Gröper an. Eine gesellschaftliche Sensibilisierung kann insbesondere auch durch vielfältige und breite Öffentlichkeitsarbeit sowie durch Aktionen von Selbsthilfegruppen wirkungsvoll und nachhaltig gestärkt werden.

Neben der Verbesserung von Zugangswegen und Lernangeboten geht es aus Sicht von Dr. Roland Peter in den kommenden Jahren vor allem auch darum, auf regionaler Ebene nachhaltige Strukturen für Alphabetisierung und Grundbildung zu schaffen und Netzwerke auszubauen. Dazu haben die Länder in den vergangenen Jahren Landes- und Fachbeiräte, Runde Tische, Grundbildungsnetzwerke und Bündnisse eingerichtet mit dem Ziel, möglichst viele verschiedene gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure einzubeziehen. Insbesondere sollen Einrichtungen in diese Netzwerke eingebunden werden, die mit Problemen gering literalisierter Erwachsener im Alltag konfrontiert werden - von Unternehmen über Verwaltungen bis zu Tafelläden. In den Grundbildungszentren besteht die Möglichkeit, die Betroffenen so niedrigschwellig wie möglich anzusprechen, um sie letztlich in Kurse einbeziehen zu können.

Dr. Ulrich Raiser unterstreicht, dass die Länder schon viel erreicht und in den vergangenen 10 Jahren einen echten Paradigmenwechsel vollzogen haben, in dessen Folge Alphabetisierung und Grundbildung als ein fester Bestandteil des Bildungssystems etabliert und Strukturen aufgebaut wurden. Dabei haben die Länder auch voneinander gelernt, wie beispielsweise bei der Einrichtung von Grundbildungszentren oder beim Transfer des Alpha-Siegels von Berlin nach Baden-Württemberg. Inzwischen wurden bundesweit 50 Grundbildungszentren eingerichtet.

Fördermöglichkeiten besser vernetzen

Als eine zentrale Aufgabe der Länder sehen es die Gesprächsteilnehmenden auch an, Fördermöglichkeiten für arbeitsplatz- und lebensweltorientierte Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen in der Breite bekannter zu machen. Dr. Roland Peter weist in diesem Zusammenhang auch auf die Diskussion der Länder insbesondere mit der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie hin. Angestrebt wird eine bessere Verzahnung von bildungspolitischen Maßnahmen der Länder und arbeitsmarktbezogen Förderinstrumenten des Bundes. Thomas Schauer berichtet, dass Bayern den gegenseitigen Austausch von arbeitsorientierten Akteuren gezielt fördere, um Schnittstellen und Kooperationsmöglichkeiten zu identifizieren und somit mehr Transparenz über Fördermöglichkeiten herzustellen.

Kooperation und Verstetigung sind Zukunftsaufgaben

Mit Blick auf die zweite Hälfte der Dekade sehen die Gesprächsteilnehmenden vor allem die Verstetigung von erfolgreichen Initiative und Maßnahmen auf Landesebene als eine zentrale Aufgabe. Als ebenso wichtig erachtet Dr. Roland Peter eine konsequente Verschränkung von Bundesprojekten mit Maßnahmen der Länder im Hinblick auf eine nachhaltige Implementation der Projektergebnisse sowie guten Praktiken nach Ende der Projektlaufzeit.

Lesen und Schreiben lernen ist ein komplexer schambesetzter Prozess, der viel Mut erfordert. Daher wird, so Dr. Ulrich Raiser, immer Überzeugungsarbeit notwendig sein, die in der Region vor Ort umgesetzt werden muss, wo Menschen Rat und Unterstützung suchen. Flexible und individualisierte Lernangebote, die zeitlich und inhaltlich an den Lernbedarfen der Teilnehmenden ausgerichtet sind, können den Einstieg erleichtern und die Lernmotivation steigern. Auch Einzelförderung und offene Lernangebote wie beispielsweise im Lernhaus Neukölln ermöglichen eine breite lebensweltliche Grundbildung, wie politische und gesundheitliche Grundbildung oder Elternbildung. Ein weiteres Ziel ist die Schaffung von Übergängen von niedrigschwelligen Unterstützungsangeboten im Sozialraum in reguläre Kursangebote.

Thomas Schauer berichtet, dass in Bayern ein wesentliches Element der Verstetigung von Grundbildungsarbeit das flexible Förderprogramm ALPHA + besser lesen und schreiben darstellt, mit dem in den vorgegebenen Rahmenbedingungen auch durch Bundesprojekte initiierte Maßnahmen gut in Regelangebote überführt werden können.

Die Gesprächsteilnehmenden unterstreichen die Bedeutung der Grundbildung als „Kitt der Gesellschaft“. Als ein fester Bestandteil des Bildungssystems kann Grundbildung dazu beitragen, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken und mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Eine zentrale Rolle kommt dabei auch dem Bildungspersonal zu, welches entsprechend den kontinuierlich steigenden Anforderungen auch entsprechend qualifiziert werden sollte. Forderungen nach einer angemessenen Honorierung sind nachvollziehbar.

Das Thema Alphabetisierung und Grundbildung wird aus Sicht der Länder auch in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund der aktuellen LEO-Zahlen und anhaltender Migration und Zuwanderung weiterhin eine wichtige gesamtgesellschaftliche Regelaufgabe bleiben. Daher müssen Strukturen entwickelt werden, die über die Dekade hinaus stabil und wirksam sind.

Moderation:
Sibylle Bassler, Fernsehjournalistin

Teilnehmende:
Dana Gröper, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Dr. Roland Peter, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg
Dr. Ulrich Raiser, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin
Thomas Schauer, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus