Hohe Relevanz der arbeitsorientierten Grundbildung in der Berufsausbildung
Als zentrale Herausforderung sieht Professor Heisler im Bereich der Berufsausbildung die Gewinnung von Auszubildenden als künftigen Fachkräften. Dabei besitze die arbeitsorientierte Grundbildung hohe Relevanz im Kontext der Bewältigung beruflicher und arbeitsweltlicher Anforderungen, auch für die Erschließung von Bewerberpotenzialen unter den bisher Unversorgten. Wesentliche Anzeichen dafür seien die Zunahme schriftsprachlicher, technisch-mathematischer, naturwissenschaftlicher und - vor allem - digitaler Anforderungen im Rahmen der Ausbildung, die aktuellen Zuwanderungsdynamiken (Zuwanderung Geflüchteter und ihre Integration in den Arbeitsmarkt) und auch die zunehmende Bedeutung selbstgesteuerten, digitalen Lernens insbesondere während der Pandemie.
Auch aus didaktischer Sicht biete die Berufs- und Arbeitswelt als soziale Praxis und als Lebenswelt Erwachsener berufliche Handlungs- und Lernanlässe für Auszubildende mit geringer Literalität. „Letztlich sprechen wir lt. LEO-Studie 2018 der Universität Hamburg von 2,7% der gering literalisierten Erwachsenen (α-Level 1-3)“, so Professor Heisler. Gleichzeitig würden jedoch vorhandene Förderangebote oft nicht hinreichend von denen genutzt, die es bräuchten. Die Gründe dafür seien vielfältig und würden oftmals von Lehrkräften nicht konkret hinterfragt. Neben mutmaßlicher fehlender Motivation könnten Gründe in der eigenen Lebenswelt und in der eigenen Biografie liegen wie bei der Vereinbarkeit von Bildungs- und Unterstützungsangeboten mit Familie und Betreuungsaufgaben, fehlende Mobilität, insbesondere im ländlichen Raum und negative Vorerfahrungen mit anderen Bildungsangeboten. Offen bleibe auf Angebotsseite auch die konkrete Verzahnung arbeitsorientierter Grundbildungsmaßnahmen mit weiteren Fördermaßnahmen beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit.
Auf Seiten von Ausbilder/-innen im Betrieb zeige sich beim Thema Sprachförderung zudem heterogene Umgangsstrategien, woraus Professor Heisler zwei Thesen ableitet: „1. Je größer das Bewusstsein für die (sprachlich-kommunikativen) Probleme der Auszubildenden, desto vielfältiger die Unterstützungsstrategien und 2. Das Bewusstsein für die sprachliche Förderung steht im Zusammenhang mit einem professionellen Selbstverständnis der Ausbilder/-innen.“
Ausbildungsabbrüchen begegnen
Ob Grundbildungsbedarfe bei Ausbildungsabbrüchen eine direkte oder indirekte Rolle spielen ließe sich nicht pauschal sagen, meint Karin Praus. Sie ist Mitarbeiterin im Projekt „Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen“ in der Handwerkskammer Trier. Das Projekt berät Auszubildende und Betriebe bei drohenden Ausbildungsabbrüchen und vermittelt Kontakte zu externen Betreuungs- und Hilfsangeboten. Gerade mathematische Grundfertigkeiten spielen in einer handwerklichen Berufsausbildung meist eine zentrale Rolle. „In der Ausbildungspraxis kommt es drauf an, welche pädagogischen Hintergründe Ausbilder/-innen jeweils in den insbesondere in der Handwerksbranche kleineren Betrieben haben.“ Leider liefen andere Angebote wie etwa AsAflex in ihrer Region nicht sehr gut. Umso wichtiger sei es, Grundbildungsangebote für pädagogische Begleiter/-innen bekannter zu machen, um neben der fachlichen auch die sozialen Grundkompetenzen bei den Auszubildenden zu stärken.
Grundbildung ist vertrauensvolle Beziehungsarbeit
Um das Thema Grundbildungsbedarf bei Auszubildenden auch bei Lehrenden in Berufskollegs zu verankern brauche es darüber hinaus gelungene Lehrer-Schüler-Beziehungen. Dr. Jens Christian Soemers, Oberstudienrat am Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg in Köln, berichtet im Forum über die Relevanz der Sensibilisierung für das Thema im Kollegium. Auch am Lernort Berufsschule würde das Thema Grundbildung weitergedacht. Digitale Grundbildungskompetenzen, aber etwa auch Fertigkeiten im Umgang mit Geld können Grundsteine bei der Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Lehrenden und Schüler-/innen legen, um Defizite gemeinsam anzugehen.
Oliver Nüchter, Regionalleiter des Bildungswerks der hessischen Wirtschaft, ist mit seinen Maßnahmen und Angeboten ganz nah an den Auszubildenden dran. Dass Auszubildende auch Grundbildungsbedarfe konkret äußerten, sieht er weniger: „Wir müssen an das andocken, was schon da ist und Grundbildung bei Auszubildenden viel breiter denken als nur Lesen, Schreiben und Rechnen lernen.“ Das Bildungswerk bietet verschiedene ausbildungsvorbereitende und -unterstützende Maßnahmen an. Dass die berufsvorbereitenden Maßnahmen (BvB) und AsAflex angepasst wurden sieht er als ersten Schritt in die richtige Richtung. „Der Fokus muss aber auf die Zeit vor der Ausbildung gehen. Grundbildung passiert viel früher.“
Miro Jennerjahn ist Fachbereichsleiter Grundbildung bei ARBEIT UND LEBEN Sachsen. Er hat langjährige Erfahrungen in den BasisKom-Projekten der AlphaDekade gesammelt und kooperiert mit dem Landesinnungsverband des Dachdeckerhandwerks Sachsen und dem überbetrieblichen Landesbildungszentrum des Sächsischen Dachdeckerhandwerks in Bad Schlema. Auf die Frage welche Vorteile überregionale Ausbildungszentren (ÜAZ) insb. für kleine Ausbildungsbetriebe im ländlichen Raum bieten würden und welche Unterstützungs- bzw. Fördermöglichkeiten es bräuchte, um mehr Auszubildende aus solchen Betrieben zu erreichen, antwortet er: „Es ist wichtig, eine aufsuchende Praxis zu verfolgen so nach dem Motto: Wie kommt unser Angebot zu den Teilnehmer/-innen?“ Er betont die Schwierigkeit auch Dozent/-innen im ländlichen Raum zu gewinnen, die konkret arbeitsorientierte Grundbildung vermitteln können. Flexibilität und Arbeiten in kleinen Gruppen sei gefragt. Um das Angebot jedoch in die Breite tragen zu können benötige es weiterhin an Ressourcen und Überzeugungsarbeit, dass konkrete Maßnahmen in den auftragslastigen Betriebsalltag integriert werden können.
Vernetzung zwischen den Akteuren der Berufsausbildung bleibt essentiell
Arbeitsorientierte Grundbildung kann Grundbildungskompetenzen bei Auszubildenden stärken. Übereinstimmung bestand über die Tatsache, dass sowohl die Lehrkraft an Berufsschulen- und kollegs als auch die Ausbildenden genauer hinsehen müssen, wie man den oder die Auszubildenden am besten für das Thema abholen kann. Die Transparenz über vorhandene Grundbildungsangebote mit Berufsbezug in den einzelnen Regionen ist divers und unterschiedlich stark ausgeprägt. Umso relevanter bleibt die Vernetzung zwischen dem Bildungspersonal, Bildungsträgern und den Akteuren im Regelsystem Berufsausbildung, um bedarfsgerecht und individuell Maßnahmen für die betroffene Zielgruppe anbieten zu können.
Moderation:
André Hamann, Lernende Region – Netzwerk Köln e.V.
Überblick zum Handlungsfeld:
Prof. Dr. Dietmar Heisler, Universität Paderborn
Diskussion:
Miro Jennerjahn, ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V.
Dr. Jens Christian Soemers (OStR), Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg, Köln
Oliver Nüchter, Bildungswerk der hessischen Wirtschaft
Karin Praus, Handwerkskammer Trier