Wirkungsgefüge Digitalisierung & Grundbildung
Durch die Digitalisierung in unserer Gesellschaft gewinnen digitale Medien und deren Einsatz vermehrt an Relevanz. In Konsequenz droht den 6,2 Millionen gering Literalisierten in Deutschland, die häufig auch geringeren digitalen Fähigkeiten aufweisen, verstärkt die Gefahr des Teilhabeausschlusses. Professor Karsten D. Wolf von der Universität Bremen verdeutlicht in seinem Vortrag anhand von sieben Thesen, dass Digitalisierung ein zweischneidiges Schwert bleibe. Einerseits helfe Digitalisierung dabei keine Schriftsprache anwenden zu müssen, Grundbildung zu verbessern und ein informelles Lernen im Sinne von Weiterbildung zu fördern. Andererseits verschärfe der digitale Wandel berufliche Anforderungen und letztlich auch die Kluft in Beruf und Gesellschaft. Dabei sei die Anzahl von Personen mit einer niedrigen digitalen Grundbildung sogar noch höher als in der „analogen“ Grundbildung. „Die arbeitsorientierte Grundbildung profitiert von digitalen Medien“, so Wolf. Gleichzeitig fokussiere sie sich jedoch noch zu wenig auf digitale Grundkompetenzen und wenn, eher auf funktionaler Ebene als auf kritisch/emanzipatorischer.
Digitales Empowernment für Grundbildungslehrkräfte: Wege der Ansprache und geeignete Schulungsformate
Wie kann man seinen Unterricht als Lehrende verbessern? Johanna Lambertz berichtet einleitend vom Projekt „ABConnect“, welches die ARBEIT UND LEBEN Landesarbeitsgemeinschaft Berlin e.V. DGB/VHS gemeinsam mit der Technischen Akademie Schwäbisch Gmünd durchführt. Aktuell verfolgt das Projekt einen neuen Ansatz der Erstellung digitaler Lernnuggets: die eVideo Medienwerkstatt. Dabei handelt es sich um eine KI-basierte Onlineplattform. Auf einer niedrigschwelligen Oberfläche können Lernende und Lehrende in gemeinsamer Onlinezusammenarbeit – auch von verschiedenen Orten aus – eigene Medienprodukte wie zum Beispiel Bildergeschichten erstellen. Seit Herbst 2022 steht die eVideo Medienwerkstatt mit den ersten beiden Branchen Hotel- und Gastgewerbe sowie Logistik online zur Verfügung. Ein medienpädagogischer Einsatz des Tools ist auch für Lehrende denkbar, die selbst noch nicht im Bereich der digitalen und Medien-Kompetenzen fortgeschritten sind, betont Lambertz. Das Projekt begleitet den Einsatz der Plattform mit einschlägigen Workshops.
Das Projekt „BauliG – (Digitaler) Baukasten für die arbeitsorientierte Förderung literaler Grundkompetenzen in (Ausbildungs-)Berufen der Bauwirtschaft“ fokussiert sich u.a. auf die Entwicklung einer Mobile App zur Förderung literaler Grundkompetenzen bei Auszubildenden in der Baubranche. Dr. Patrick Blum, Kooperationspartner im Projekt, informiert über die Entwicklung einer Art digitalen Baukastens mit (berufsbezogenen) Übungen zum Lesen und (Recht-)Schreiben, welcher zudem auf andere Branchen übertragen und adaptiert werden könne. Erprobt wird die App derzeit im Ausbildungszentrum Kerpen.
Gelingensbedingungen für digitale Lernangebote
Doch wie gelingt es mehr Lernende für die Teilnahme an digitalen Lernangeboten zu gewinnen? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen sein, damit individuelle Grundbildungsangebote in digitaler Umsetzung mit dieser Gruppe gestaltet werden können? Lisa Maria David vom BMBF-geförderten Projekt „GediG“ befasst sich mit der Identifikation von Gelingensbedingungen des Einsatzes digitaler Medien in der Grundbildung. Sie erläutert im Weiteren, dass Lernende digitale Medien durchaus bereits anwenden. Digitale Tools und bspw. Vorlesefunktion werden von Lernenden bis zu 50% auch im Privatgebrauch eingesetzt. Der Zugang zu digitalen Medien durch gering Literalisierte sollte bei der Konzeption von Lernangeboten ebenso berücksichtigt werden, wie deren individuellen Motive und Ziele. Zur Förderung der Selbstwirksamkeit sowie der Entwicklung von Interesse und Lust, mit digitalen Medien umzugehen, sollten Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Lernenden gegeben sein. Aspekte wie Usability, Universal Design, Bildsprachlichkeit, Gamification etc. seien ebenso zentral. „Sind Emojis nicht auch bereits schon eine Erweiterung unserer Schriftsprache?“ Lisa Maria David ist überzeugt, dass die Anwendung von Emoticons unterstützend wirken und die Nutzung von Lerninstrumenten fördern. Professor Wolf unterstreicht diesen Ansatz. Dennoch sei der Einsatz von digitalen Medien nicht nur sinnvoll um des Einsatzes wegen, sondern sollte stets mit dem Ziel verfolgt werden, Menschen dazu zu befähigen, diese selbstständig zu nutzen, um eine höhere eigene Lernmotivation zu kreieren.
Wie kann KI die Lernprozesse von gering Literalisierten unterstützen?
Ausreichend Potential für die Anwendung von KI in digitalen Grundbildungsangeboten ist vorhanden. Gleichwohl sehen die Forenteilnehmenden das Thema zu Weilen auch als „overhyped“ an. Offen bleibt zudem die Frage, was konkret unter KI in diesem Rahmen zu verstehen ist. Regelbasierte KI im Sinne einer Lernwegsteuerung findet bereits seine Praxis in vielen digitalen Grundbildungsangeboten wie bspw. im Kurs „Schreiben“ des vhs-Lernportals, welcher zu 95% automatisiert sei, so Gabi Netz vom Deutschen Volkshochschul-Verband e.V. (DVV).
Digitalisierung bleibt Querschnittsthema in der Grundbildung
Welchen Stellenwert hat digitale Grundbildung in der Zukunft? Ein „Digital Taste“ konnte im Forum deutlich vermittelt werden. An Bedeutung gewinnen Konzepte, die gering literalisierte Erwachsene dazu bewegen, an digital gestützten Kursen zu partizipieren. Einigkeit besteht bei den Forenteilnehmenden, dass das Lernen von basalen Grundkompetenzen zunehmend mit digitalen Lernangeboten verbunden werden müsse. In diesem Sinne werden digitale, computer- und informationsbezogene und schriftsprachliche Grundkompetenzen als komplementär angesehen - eine essentielle Anforderung nicht nur hinsichtlich der Zielgruppe der gering Literalisierten allein, sondern auch an die Zielgruppe der Lehrkräfte oder Medienpädagog/-innen. Digitale Medien sind letztlich auch Kollaborationstools. Die Befähigung von Lehrkräften sich digitalen Medien zu nähern ist ein erster Schritt.
Moderation:
Gabi Netz, Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.
Überblick zum Handlungsfeld:
Prof. Dr. Karsten Wolf, Universität Bremen
Diskussion:
Dr. Patrick Blum, blum consulting GmbH
Johanna Lambertz, Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg DGB/VHS e.V.
Lisa Marie David, Pädagogische Hochschule Weingarten