Ausbau lebensbegleitender Beratungsstrukturen
Eine Zielsetzung der 2019 initiierten Nationalen Weiterbildungsstrategie ist es, lebensbegleitende Weiterbildungsberatung flächendeckend zu vernetzen sowie bestehende Beratungsangebote, insbesondere von Bund, Ländern, Kammern, Verbänden und Bildungswerken zu einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen lebensbegleitenden Beratungsstruktur auszubauen. In seinem Input zeichnet Prof. Stanik auf, wie Beratung zur arbeitsorientierten Grundbildung in bestehende Angebote zur Aus- und Weiterbildungsberatung integriert werden kann. Dabei zielt personenbezogene Beratung verstärkt auf Kompetenzbilanzierung und Lernen(individuell) und organisationsbezogene Beratung auf die Förderung und Qualifizierung (kollektiv), bei denen jeweils unterschiedliche Institutionen/Akteure beteiligt sind. Insbesondere vor den Hintergrund des steigenden Fachkräftebedarfs gilt es unentdeckte Personalressourcen im Unternehmen zu entwickeln und die geringen Beteiligungsquoten an Weiterbildung – vor allem in KMU - zu erhöhen. Dabei spielt Beratung im Kontext von Förderprogrammen wie z.B. der Förderung über das Qualifizierungschancengesetzt oder regionale Programme z.B. Bildungscheck NRW eine zentrale Rolle.
Ungenutzte digitale Zugangswege erschließen
Lt. LEO-Studie 2018 der Universität Hamburg sind gering literalsierte Erwachsene in gleichem Umfang wie die Gesamtbevölkerung in sozialen Netzwerken unterwegs und nutzen das Smartphone für die Kommunikation. Dies bietet Möglichkeiten, so Stanik, bislang weitgehend ungenutzte digitale Zugangswege für die Beratung zu erschließen sowie Rahmenbedingungen und Anforderungen an effektive Kommunikation – durch Verknüpfung von analogen und digitalen Beratungsformaten - mit benachteiligten Zielgruppen zu identifizieren. Ein praktisches Beispiel ist die ALFA-Telefon-WhatsApp-Beratung, indem durch quasi-anonyme, vorurteilsfreie Kommunikation die Hemmschwelle gesenkt wird. Neben digitalen Kanälen zur Ansprache von Zielgruppen könnten weitere Online-Beratungsformate z.B. asynchrone Sprach-Messangerberatung sowie die Potentiale von Sozialen Netzwerken für unterstützende Peer-Beratungen erprobt werden.
Erfolgreiche Beratung ist Vertrauenssache
Um mehr Erwachsene mit niedrigen Schriftsprachkompetenzen zu arbeitsorientierten Grundbildungsmaßnahmen zu beraten und zu unterstützen sind systematische Maßnahmen zur Sensibilisierung von Beratenden in der Arbeitsförderung zu verstärken. Auch müssten Grundbildungsangebote besser sichtbar sein – hier könnte die Datenbank Kursnet weiter ausgebaut werden.
Mehrwertsensible Beratung
Langjährige Ansprache von Unternehmen und die Erprobung von arbeitsorientierten Grundbildungskursen (mindestens 100h Unterricht) seit 2012 durch die Technische Akademie Schwäbisch Gmünd haben dazu beigetragen, dass mehr als 4000 Lernende erreicht wurden. Michael Nanz sieht es als Erfolg an, dass Betriebe inzwischen bereit sind, 50% der Kurskosten zu übernehmen. Im Forschungsprojekt Alpha-Invest untersucht die Pädagogische Hochschule Weingarten aktuell den Mehrwert von Investitionen in Dienstleistungsmaßnahmen der AoG für Individuen, Unternehmen und Gesellschaft. Viele Unternehmen zeigen inzwischen Bedarf und Interesse an Grundbildung. Das funktioniere jedoch nur, so Nanz, wenn man eine Dienstleistung anbiete und den jeweiligen Mehrwert für das Unternehmen und die Beschäftigte darlege: dazu braucht es eine Bedarfserhebung zu Lernanlässen, sowie eine zeitlich und räumlich flexible Kursgestaltung. Eine Teilnehmende bestätigt, dass die Ansprache am Arbeitsplatz gut gewesen war, so dass man dann mit kurzen Lerneinheiten anfangen könne; damit man Vertrauen bekomme und den Einstieg ins Lernen schaffe.
Grundbildung ist kein lukratives Geschäftsmodell
Sandra Scotti-Rosin von Weiterbildung Hessen e.V. erläutert, dass es große Unterschiede in den Branchen und vor allem im Hinblick auf Betriebsgrößen gäbe, wie Weiterbildung verankert sei. So könne der Zugang zu KMU, beispielsweise zu kleineren Hotels oder Restaurants, die keine eigene Personalabteilungen haben, die für Weiterbildung ansprechbar und offen sind, schwieriger sein als zu größeren Firmen. Ansprache der Unternehmen funktioniert nicht über das Thema Alphabetisierung und Grundbildung sondern über Problemlagen der Unternehmen. Die Lösung so mancher Probleme könne dann womöglich über das Angebot von AoG gehen. Daher bedarf es professioneller Beratungsdienstleistungen. Es braucht eine zentrale Stelle - auch denkbar in Form eines festen Ortes - , die für Anfragen aller Zielgruppen zum Thema AoG zuständig ist. In Hessen ist die Nachfrage nach Qualifizierung und Sensibilisierung groß. Grundbildung sei allerdings kein lukratives Geschäftsmodell für Bildungsträger, was das Interesse an dem Thema mindert.
Regionales Beratungs- und Bildungsmanagement
Aus Sicht von Hella Krusche stelle die Unterscheidung in arbeitsorientierte und lebensweltorientierte Grundbildung eine künstliche Trennung dar. In Bayern wird diese Unterscheidung nicht vorgenommen. Es brauche jedoch immer Überzeugungskraft, damit Weiterbildungsträger Grundbildung anbieten. In Bayern wurden im Rahmen von Projektförderung bereits funktionierende Bildungsnetzwerke, z.B. mit den Bildungswerken der Wirtschaft etabliert. Strukturen des kommunalen Bildungsmanagement können, so Krusche, auch für die Grundbildung genutzt und ausgebaut werden. Ziel ist es, dass Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene institutionalisiert werden, um die Beratung und Vermittlung zu gewährleisten und zu verbessern. Das sollten Organisationen sein und nicht Personen. Eine Teilnehmende bestätigt, dass die hohe Personalfluktuation in der Grundbildung (befristete Anstellungen aufgrund Projektförderung) der Grund sei, dass immer wieder neu sensibilisiert und informiert werden müsse. Personalwechsel sei in diesem Bereich kontraproduktiv. Vernetzung müsse eine Daueraufgabe werden. Um Bildungsberatung zu verbessern müsse Grundbildung Teil des Studiums der Sozialarbeit und des Lehramts sein.
Moderation:
Dr. Nicole Pöppel, Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.
Überblick zum Handlungsfeld:
Prof. Dr. Tim Stanik, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit Schwerin
Diskussion:
Hella Krusche, Fach- und Koordinationsstelle für Alphabetisierung und Grundbildung in Bayern
Michael Nanz, Technische Akademie Schwäbisch Gmünd e.V.
Sandra Scotti-Rosin, Weiterbildung Hessen e.V.