Professionalitätsdebatte und Professionalisierungsentwicklung
Im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung gibt es schon lange eine rege Diskussion zu Professionalisierung und Kompetenzen von Lehrenden. In ihrem Impulsvortrag erläutert Jun.-Prof.in Dr. Julia Koller die Zweidimensionalität von Professionalisierung: im Hinblick auf Professionsstatus auf struktureller Ebene und im Hinblick auf Kompetenz des individuellen Handelns. Einerseits gibt es eine große Vielfalt von Trägern, Institutionen und Qualifikationswegen, andererseits sehen sich Grundbildner:innen einem stark segmentierten Arbeitsmarkt gegenüber, geprägt von Erwartungen an eine hohe Flexibilität des Lehrpersonals. Für Lehrende in der arbeitsorientierten Grundbildung stellt der betriebliche Kontext, d.h. das spezifische Berufsfeld eine zusätzliche Herausforderung an ihre Qualifikation dar. So wurden in AlphaDekade-Projekten vielfältige Konzepte und Materialien zur Qualifizierung von Bildungspersonal und Lernbegleitenden entwickelt. Zentrale Kompetenzanforderungen sind neben didaktischen und methodischen Fähigkeiten vor allem auch Teilnehmerorientierung, Adressaten- und Berufsfeldbezug. Auch wenn die Lernziele klar sind, müssen Lernangebote erst gemeinsam mit den Teilnehmenden entwickelt und konkretisiert werden. Hier fungiert das Unternehmen als „Auftraggeber“ quasi als dritter Partner. Das Thema geringe Literalität muss daher auch in der betrieblichen Kommunikation berücksichtigt werden.
Als zentrale Herausforderungen sieht Julia Koller, dass es in einem Feld, das von hoher Flexibilität sowie Interdisziplinarität gekennzeichnet ist, an klaren Standards für Qualität fehle, an denen sich AoG orientieren könne. AoG ist weder für Lehrende noch für Bildungsträger ein Geschäftsmodell und es gibt wenig überorganisatorische Strukturen zur Förderung der Professionalisierung, die leicht zugängig sind.
Herausforderungen für die Professionalisierung in der AoG
Dr. Regina Ryssel von der Humboldt-Universität zu Berlin berichtet, dass im Projekt INA-Pflege Lehrkräfte in der Pflegehilfeausbildung zusätzlich dafür professionalisiert werden, Menschen mit geringen Grundbildungskompetenzen zu unterrichten. Das macht es erforderlich, dass das Material nicht nur auf die themenbezogene Unterrichtsgestaltung ausgerichtet ist, sondern auch der Sensibilisierung und Professionalisierung von Lehrenden und Akteuren im Pflegebereich für Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen dient. Zu Beginn wurden die Lehrkräfte gefragt, was sie als branchenspezifische Grundbildungsbedarfe für die Altenpflegehilfe ansehen. Es wurden Themen genannt wie Stress im Beruf, Sexualität im Alter, Kommunikation etc. Die Kursleitenden wurden folglich im Hinblick auf die Vermittlung dieser Grundbildungsinhalten qualifiziert. Vor dem Hintergrund des großen Fachkräftebedarfs in der Pflege hat sich auch die Nachfrage nach Grundbildungsmaßnahmen und damit nach qualifiziertem Lehrpersonal stark erhöht. Im Projekt wurde ein Handbuch zu didaktischen Prinzipien der Grundbildung in der Pflege(-hilfe) für Lehrpersonen und Bildungsplanende erstellt, welches methodisch-didaktische Empfehlungen zur Gestaltung von Unterrichtssituationen in der Pflege vermittelt. In Schulungen werden Lehrkräfte und Bildungsplanende befähigt, Sensibilisierungs- und Professionalisierungsangebote zur arbeitsorientierten Grundbildung in der Pflege(-hilfe) selbst zu gestalten.
Aus eigener Erfahrung als freiberufliche Lehrkraft in Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen berichtet Holger Blumensaat, dass sich Kursleitende in der AoG immer wieder neu in berufs- und tätigkeitsspezifische Inhalte sowie in unterschiedliche betriebliche Arbeitsprozesse einarbeiten müssen. Die Vermittlung von Fachdidaktiken habe relativ wenig Bedeutung. Positiv ist es, wenn Lehrkräfte auf bestehende branchenspezifische Kursmaterialien zugreifen können, die eingesetzt oder adaptiert werden können. Wichtig ist auch, dass Unternehmen den Mehrwert erkennen und flankierende Förderung bereitgestellt werde.
Annegret Aulbert-Siepelmeyer vom Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch Bildungsplanende sich in Anforderungen der Branche einarbeiten müssen; dementsprechend kann nicht jeder Kursleitende in jedem beliebigen Feld eingesetzt werden. Standardisierung kommt dort an eine Grenze, wo Arbeitsprozesse in den Branchen sehr unterschiedlich sind; ein allumfassendes Berufsbild gibt es nicht.
Unklares Berufsbild und segmentierter Arbeitsmarkt als Hürde für Verstetigung
Ein fehlendes Berufsprofil mit definierten Kompetenzen wird von den Diskussionsteilnehmenden als zentrales Hindernis für die Professionalisierung und Verstetigung gesehen. Ein Problem sei, dass es nach der Qualifizierung keinen „aufnehmenden Markt“ gäbe, Bildungsanbieter hätten hier noch keine Möglichkeit der Regelhaftigkeit, sodass versicherungspflichtige Festanstellungen selten möglich sind. Zudem wünschen sich Kursleitende mehr Verdienstmöglichkeiten. Annegret Aulbert-Siepelmeyer bestätigt, dass das Bildungswerk der Wirtschaft in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit festangestellten Kursleitenden gemacht habe. Im Projekt "AlphaGrund vernetzt" entwickeln die Bildungswerke der Wirtschaft gemeinsam mit Arbeit und Leben/Projekt "BasisKomNet" eine Qualifizierungsreihe zum „Grundbildungscoach“. Die modular aufgebaute Qualifizierung richtet sich gleichermaßen an potentielle Trainer:innen und Bildungsmanager:innen. Ziel ist es, dem anhaltenden Bedarf an qualifizierten AoG-Fachkräften zu begegnen.
Vor dem Hintergrund zunehmender Nachfrage nach arbeitsorientierter Grundbildung stellt sich die Frage, ob mit AoG die Chancen auf Verstetigung von Professionalisierung sowie auf adäquate Bezahlung steigen.
Moderation:
Gwennaelle Mulliez, Universität zu Köln
Überblick zum Handlungsfeld:
Jun.-Prof. Dr. Julia Koller, Johannes Gutenberg Universität Mainz
Diskussion:
Dr. Regina Ryssel, Humboldt Universität zu Berlin
Annegret Aulbert-Siepelmeyer, Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft gemeinnützige GmbH
Holger Blumensaat, Freiberufliche Lehrkraft