Arbeitsorientierte Grundbildung und Weiterbildungspfade aus europäischer Sicht

AlphaDekade © BMBF/ bundesfoto/Kurc

Weiterbildungspfade, Life Skills, Future Skills und strukturelle Verankerung von Grundbildung

Für die Umsetzung der EU-Empfehlung werden bestehende Strukturen genutzt, weshalb die Abläufe in den verschiedenen EU-Ländern unterschiedlich sind. Eva Steinheimer von 3s Forschung & Beratung für Lebenslanges Lernen erläutert, dass viele Länder bereits über Angebote verfügen, die Elemente der Weiterbildungspfade umfassen und auf denen sie bei der Umsetzung dieser neuen Initiative aufbauen können. Gestärkt werden sollen auch Maßnahmen zur Feststellung, Validierung und Anerkennung von Kompetenzen. Wesentliche Stützpfeiler bei der Umsetzung der Empfehlung sind: eine wirksame Sensibilisierung der Zielgruppe für das Angebot, die Formulierung von Leitlinien sowie Unterstützungsmaßnahmen. Eine konkrete Definition von Grundbildung gibt es jedoch nicht. Im Auftrag der EU-Kommission führt 3s Forschung & Beratung für Lebenslanges Lernen eine europaweite Evaluation zur Umsetzung der Ratsempfehlung „Weiterbildungspfade“ in der europäischen Union durch. Erste Ergebnisse der evaluativen Einschätzung der Empfehlung zeigen aus Sicht von Eva Steinheimer, dass die Empfehlung zur Verstärkung, Stabilität und Kontinuität bereits bestehender nationaler Politiken und Praktiken im Bereich der Grundbildung und Höherqualifizierung beigetragen hat. Umbruch- und Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie haben den Blick für die Bedeutung von Basisbildung noch einmal geschärft.

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Mit der „Initiative Erwachsenenbildung“ (IEB) ist es in Österreich durch die Vereinbarung von Bund und Ländern 2012 gelungen, eine Struktur für den Erwerb grundlegender Kompetenzen sowie nachholender Bildungsabschlüsse zu schaffen. Ingrid Kemper führt aus, dass die Initiative Erwachsenenbildung offen ist für alle Erwachsene mit Basisbildungsbedarf sowie offen für alle Bildungsträger. Diese haben eine starke Rolle, weil sie die Angebote entwickeln und regional gut vernetzt und verankert sind und auch Angebote in ländlichen, strukturschwachen Regionen ermöglichen. Bund und Länder entscheiden gemeinsam über die Förderung von eingereichten Anträgen. Zuvor durchläuft das Bildungsangebot ein Akkreditierungsverfahren. Die Sozialpartner wirken in der Steuerungsgruppe beratend mit. Durch die Schaffung von österreichweit gültigen qualitativen Rahmenrichtlinien werde ein hoher Qualitätsstandard für diese Programmbereiche geschaffen. Das neu entwickelte Curriculum soll dazu beitragen, ein gemeinsames Verständnis von Basisbildung herzustellen – hinsichtlich der konkreten Gestaltung der Angebote haben die Bildungsträger jedoch Spielräume.

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Astri Pestalozzi erläutert, dass auch in Norwegen ein gut ausgebautes System der Aus- und Weiterbildung mit unterschiedlichen Pfaden sowie vielen Einstiegsmöglichkeiten für Erwachsene gibt. Aber auch in Norwegen stellt die Frage der Weiterbildungsbeteiligung von gering literalisierten Erwachsenen eine zentrale Herausforderung dar. Mit dem Förderprogramm “SkillsPlus“ ist die Grundbildung auf nationaler Ebene strukturell gut verankert, einschließlich der Erfassung und Dokumentation von erworbenen (Grund-)Kompetenzen. Das 2006 gestartete Programm zielt auf die Verbesserung der Grundkompetenzen von Erwachsenen in den Bereichen, Literalität, Numeralität sowie Kommunikationskompetenz und die Anwendung von digitalen Medien in Arbeits- und Lebenswelt und wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Astri Pestalozzi sieht die Stärken des SkillsPlus-Programms einerseits in der Zusammenarbeit von Bund, Regionen und Sozialpartnern sowie in der ausgeprägten Orientierung des Lernens an praktischen Lebenssituationen. In den Curricula für Grundkompetenzen für Erwachsene sind nationale Standards für Lesen und Schreiben, Mathematik, digitale Kompetenz und mündliche Kommunikation festgelegt. Diese sind die Basis für die Durchführung von SkillsPlus-Kursen, die quasi eine Lücke zwischen formaler Ausbildung und Weiterbildung füllen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor des Programms ist die Verankerung in den Betrieben. Antragsberechtigt sind Bildungsanbieter, die mit privaten und/oder öffentlichen Unternehmen kooperieren. Beide Partner müssen dabei die betrieblichen sowie die individuellen Grundbildungsbedarfe definieren und die Projekte entsprechend planen und durchführen.

Wie erreicht man die Zielgruppe? Wie erreicht man die Betriebe?

Ingrid Kemper führt aus, dass die Nachfrage nach Angeboten bislang immer groß war – vor dem Hintergrund eines hohen Anteils an Erwachsenen mit Migrationshintergrund. Des Weiteren sind die Träger gut vernetzt mit Beratungseinrichtungen vor Ort. Wichtig ist auch, dass Lernangebote unmittelbar an den Interessen der Teilnehmenden anzuknüpfen und der Nutzen für sie erkennbar ist – Stichwort teilnehmerorientiertes Lernen. Um mehr Beschäftigte in Unternehmen zu erreichen bräuchte es jedoch in Österreich eine Programmstruktur, bei der sich Bildungsträger nicht nur an Teilnehmende, sondern an Betriebe richten.

Betriebe werden in Norwegen auf regionaler Ebene über Einrichtungen wie Bildungsträger, Arbeitsbehörde, Integrationsbehörde etc. vor Ort erreicht. Zudem hat sich das Förderprogramm durch die lange Laufzeit bereits in der Praxis etabliert. Von besonderem Nutzen ist, dass die Förderung unmittelbar in die Umsetzung von Lernangeboten/Unterreicht fließt und dadurch Kurse kostenfrei und weit verbreitet verfügbar sind für potentielle Lernende. Ein zentraler Erfolgsfaktor im SkillsPlus-Programm und den Kursen in den Betrieben ist ebenfalls der unmittelbare betriebliche Tätigkeitsbezug. Die regionalen Anbieter leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Vermarktung von SkillsPlus bei Unternehmen und Organisationen in ihrer Region. Die Direktion flankiert das Programm mit Werbe-Kampagnen - mit konkreten Projektbeispielen und Erfolgsgeschichten insbesondere zur Ansprache von Unternehmen. Da die Nachfrage nach Förderung hoch ist, können jährlich jedoch nur ca. 40-50% der Anträge bewilligt werden.

Auf europäischer Ebene dominieren eher Maßnahmen zur allgemeinen Grundbildung, arbeitsorientierte Grundbildung ist zumeist in Projekte eingebettet. Als Ausnahme verweist Eva Steinheimer auf die Schweiz. Mit dem seit vielen Jahren weiterentwickelten GO-Modell und der Initiative „Einfach besser (Lesen, Schreiben, Rechnen, Computer) am Arbeitsplatz“ fördern in der Schweiz Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt gemeinsam die Grundkompetenzen. Dazu gehören maßgeschneiderte Kurse für Betriebe, die von Bund und Kantonen finanziell unterstützt werden. Das Nationale Weiterbildungsgesetz hat die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen geschaffen, die eine flächendeckende Angebotsstruktur ermöglicht. Auch in der Schweiz ist zur Gewinnung von Unternehmen eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, die den Mehrwert von arbeitsorientierten Grundbildungsmaßnahmen sowohl für Betriebe als auch für Beschäftigte kommuniziert.

Professionalisierung des Bildungspersonals

Eine Schlüsselrolle kommt der Professionalisierung des Bildungspersonals zu. Dieses steht in einem Spannungsverhältnis von hohen fachlichen und pädagogischen Kompetenzanforderungen einerseits und oftmals geringer Entlohnung und fehlendem Berufsbild andererseits. Diese Situation spiegelt sich im Bereich der arbeitsorientierten Grundbildung dadurch wieder, dass es schwierig ist, entsprechende Lehrkräfte zu finden und längerfristig für die Grundbildung (außerhalb von Projekten) zu gewinnen.

Ingrid Kemper führt aus, dass die Professionalisierung in Österreich und die Entwicklung eines Berufsprofils zur „Basisbildner:in“ ein langer Weg war. In kollegialer Zusammenarbeit mit Expert:innen und Trainer:innen wurde ein Qualifikationsprofil ausgearbeitet, das Grundlage für die Ausbildung der Basisbildner:innen sowie die Anerkennung von Maßnahmen darstellt. Ein solches Berufsbild soll darüber hinaus auch zur Verortung am Arbeitsmarkt sowie zur Erhöhung der Attraktivität des Berufs beitragen. Ziel ist es für Trainer:innen, die vielfach bereits eine gute hochschulische Ausbildung mitbringen, ein einheitliches Berufsprofil zu schaffen, um die Attraktivität des Berufs zu steigern und dann in den verschiedenen Feldern tätig werden zu können.

Astri Pestalozzi bestätigt, dass die Professionalisierung des Bildungspersonals auch in Norwegen eine große Herausforderung ist. Rückblickend hat sich die langfristig finanzielle Sicherung der Programme auch positiv auf die Gewinnung und Qualifizierung des Bildungspersonals ausgewirkt. Die norwegische Direktion für Hochschulbildung, Ausbildung und Kompetenz stellt nicht nur Lehr- und Lernmaterialien zur Verfügung, sie ist auch für die Qualifizierung des Bildungspersonals verantwortlich und finanziert das Studium von Lehrenden in der Grundbildung. Die Qualifikation des Bildungspersonals stellt folglich auch ein zentrales Kriterium für die Auswahl der zu fördernden Anträge im SkillsPlus-Programm dar.

Mit Blick auf andere europäische Länder weist Eva Steinheimer darauf hin, dass viele Kursleitende über Umwege in die Grund-/Basisbildung kommen. Eine Hürde bei der längerfristigen Beschäftigung und Qualifizierung von Kursleitenden stellen zuweilen die staatlichen Förderpauschalen z.B. im ESF dar, die hinsichtlich der Honorierung von Bildungspersonal nur wenig Spielraum nach oben zuließen.

Moderation:

Dr. Julia Kropf, freie Jounalistin

Teilnehmende:

Ingrid Kemper, Geschäftsstelle der Initiative Erwachsenenbildung (AT)

Eva Steinheimer, 3s Forschung & Beratung für Lebenslanges Lernen (AT)

Astri Pestalozzi, Direktion für Hochschulbildung, Ausbildung und Kompetenz (NO)