Eröffnungsrede Jan Benedyczuk, Staatssekretär im Minsterium für Bildung und Kultur des Saarlandes

AlphaDekade © BMBF/ bundesfoto/Kurc

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass Sie heute bei der AlphaDekade-Konferenz – Gott sei Dank wieder in Präsenz – zugegen sind. Es ist mir eine Freude, hier im wunderschönen Nürnberg als Vertreter der Kultusministerkonferenz ein paar Worte an Sie zu richten.

Wenn wir uns mit dem Thema „Grundbildung in der Arbeitswelt verankern“ auseinandersetzen, geht es um ein wirkliches Zukunfts- und Querschnittsthema, das auf dieser Konferenz Akteure aus Politik, Wissenschaft und Praxis der Grundbildung und Arbeitswelt zusammenbringt, die mit der Entwicklung und Umsetzung von arbeitsbezogenen Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung befasst sind oder Berührungspunkte dazu haben.

Für diesen Austausch bin ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, außerordentlich dankbar.

1. Stärkere Einbeziehung Erwerbstätige

Die vielzitierte Leo-Studie der Universität Hamburg hat ermittelt, dass 12,1 Prozent der Erwerbsfähigen in Deutschland nur in geringem Maße literalisiert sind. Wir sind aufgefordert, diesen Menschen Angebote zu machen, um Teilhabeperspektiven aufzuzeigen.

Angesichts des immer stärkeren Fachkräftemangels ist es auch aus volkswirtschaftlicher Sicht enorm wichtig, dieses Potenzial auszuschöpfen und diese Gruppe für die digitale Arbeitswelt fit zu machen.

Dazu müssen wir weiter verstärkt Unternehmen für die Mitarbeit in der Dekade sensibilisieren.

Auch stehen wir vor der Herausforderung, diese Zielgruppe auch außerhalb des betrieblichen Umfelds anzusprechen. Also dort, wo die Menschen schwerer erreichbar sind.

Um einzelne gering Literalisierte zu identifizieren und zu motivieren, sind besondere Anstrengungen zur Teilnehmerakquise – und vor allem koordinierte Anstrengungen der relevanten Akteure – erforderlich.

Hier gehen wir in den Ländern mit der Schaffung von Grundbildungszentren und der Ausweitung niederschwelliger Lernangebote voran.

2. Kooperation in der Dekade

Unser gemeinsames Instrument in der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung von 2016 bis 2026 ist die Kooperation zwischen den Ländern, dem Bund und weiteren Partnern.

Wir haben uns auf die erforderlichen Aufgaben geeinigt und setzen sie teilweise gemeinsam um. Dazu trägt auch diese Veranstaltung bei.

Unser Ziel ist und bleibt, gemeinsam die Literalisierung zu fördern und Grundbildungsdefizite abzubauen.

Wie Sie wissen, ist der Bund etwa für Forschungsaufgaben zur Alphabetisierung und Grundbildung sowie Pilotprojekte zuständig; die Länder für die Fortbildung der Kursleitenden und eigene Projektförderungen bei Lernangeboten und Grundbildungszentren sowie für die institutionelle Grundförderung der öffentlichen Weiterbildungsträger.

Dieser letzte Punkt wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder unterschätzt, ist aber von zentraler Bedeutung für die Absicherung der Weiterbildungseinrichtungen insgesamt.

Bund und Länder arbeiten im Kuratorium der Dekade mit gesellschaftlichen Organisationen und Weiterbildungsverbänden, dem Deutschen Volkshochschulverband, den Kirchen, dem DGB und der Wirtschaft zusammen. Diese Kooperation erhöht wirksam die Chance, unsere Ziele schneller und effizienter zu erreichen.

Für dieses Engagement danke ich an dieser Stelle im Namen der Ländergemeinschaft ausdrücklich!

Da die Hälfte der Dekade bis 2026 mittlerweile vorbei ist, müssen wir auch eine erste Bilanz ziehen und überlegen, wie wir weitermachen wollen. Hier zeigt sich allerdings, ehrlich gesagt, dass das „Glas gleichzeitig halb voll und halb leer ist“.

  • Der Bund hat in den vergangenen Jahren sein zugesagtes Engagement finanziell umgesetzt, etwa bei der sehr wichtigen Forschungsförderung. Dafür sage ich herzlichen Dank!
  • Wir haben in den Ländern vielfältige neue Aktivitäten und Projekte gestartet, nachhaltige Strukturen etwa durch die Schaffung von Fach- und Koordinierungsstellen aufgebaut und die Zahl der Grundbildungszentren in den meisten Ländern als grundlegendes Instrument zur niedrigschwelligen Teilnehmergewinnung in der Fläche ausgebaut.
  • Als besonders wichtigen Beitrag zur Qualität der Lernangebote haben wir Handlungsempfehlungen für die Aus- und Fortbildung von Kursleitenden vorgelegt.

Damit wurde strukturell vieles vorangebracht.

Das ist das „halb volle Glas“.

Halb leer ist nach wie vor das Glas, wenn es um die Zahl der Teilnehmenden in den Lernangeboten und Kursen geht. Sie ist nach wie vor zu niedrig, wie Sie alle wissen. Hier müssen wir uns der Frage stellen, wie wir die letzten Jahre der Dekade angehen wollen, etwa wie wir die Zielgruppen und die inhaltlichen Angebote in der Grundbildung erweitern können.

Vorne dran steht allerdings die Frage der Kooperationen, gerade bei einem Kongress wie heute.

Entscheidend, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird die Nachhaltigkeit unserer Bemühungen sein.

Deshalb ist es gut, dass die Länder und insbesondere auch die KMK in der Nationalen Weiterbildungsstrategie vertreten sind, in deren Rahmen die Alphabetisierung und Grundbildung weiter an Bedeutung gewinnt.

Ziel ist, die Erwerbstätigen beim strukturellen Wandel unserer Gesellschaft mitzunehmen, vor allem bei der Digitalisierung und Dekarbonisierung, sie aber auch für krisenhafte Entwicklungen wie Corona zu stärken.

Nach Studien sind zwischen 10 und 15 Prozent der Beschäftigten in den kommenden Jahren dem Risiko ausgesetzt, durch Technologien ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das betrifft selbstverständlich besonders gering literalisierte Erwachsene. Jeder dritte Arbeitslose und jeder vierte unter den gering qualifizierten Erwerbstätigen ist laut der LEO-Studie von 2018 gering literalisiert. Oder, in absoluten Zahlen: rund 800.000 Personen unter den Erwerbslosen und rund 2,4 Millionen Personen unter den gering qualifizierten Erwerbstätigen.

Diese Größenordnung ist gewaltig! Und sie zeigt, dass wir in der Dekade dringend vorankommen müssen!

  • Deshalb wollen wir Länder in der Nationalen Weiterbildungsstrategie zum einen erreichen, dass die Förderung von gering literalisierten Erwachsenen durch die Bundesagentur für Arbeit ausgeweitet wird, gerne auch in Zusammenarbeit mit den Ländern.

Wir brauchen die Bundesagentur als starken Partner, um wirksam mehr Teilnehmende erreichen zu können.

  • Zum anderen fordern wir, dass Bund und Länder sich auf konkrete und verbindliche Absprachen verständigen, wie eine gemeinsame Förderung künftig aussehen könnte. Vorbild könnten etwa die Bildungsketten sein, die bereits sehr erfolgreich beim Übergang Schule-Beruf in allen Ländern umgesetzt werden. Hier ist der Bund gefordert, mit uns Ländern gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.

Nicht umsonst sollen laut Koalitionsvertrag des Bundes die Mittel für die Alphabetisierung in dieser Legislaturperiode erhöht werden. Die konkrete Ausgestaltung dieser Erhöhung ist noch offen.

Lassen Sie uns gemeinsam auf dieses Ziel hinarbeiten – denn eins ist für mich klar: Die finanzielle Lage kann und darf bei dieser Frage nicht das Problem sein!

3. Digitalisierung auch in Alphabetisierung und Grundbildung

Ich freue mich übrigens, dass wir als Ergebnis von Corona nicht nur Negatives zu vermelden haben.

Sicher: Viele Lernangebote sind in den Lockdowns ausgefallen, viele Teilnehmende nicht mehr zurückgekommen. Diese Auswirkungen sind sehr problematisch und zeigen, dass wir vorbeugen müssen. Dazu komme ich gleich.

Hervorheben möchte ich allerdings das überaus große Engagement unserer Weiterbildnerinnen und Weiterbildner. Ich möchte deshalb gerade unseren heutigen Kongress nutzen – zumal ja auch viele Kursleitende anwesend sind – mich im Namen der Kultusministerkonferenz dafür zu bedanken:

Sie haben es geschafft, viele gering literalisierte Menschen in den Kursen zu halten, sie haben sie vielfach sozialpädagogisch und menschlich unterstützt und dabei große Kreativität und Einsatzbereitschaft gezeigt. Sie haben unserer Gesellschaft einen sehr großen Dienst erwiesen. Dafür meinen herzlichen Dank!

Besonders positiv ist dabei der Aspekt der Digitalisierung zu nennen.

Wir hören noch die Einschätzungen, in der Grundbildung könne niemand mit dem PC arbeiten. Das war einfach falsch und wir haben selbst in der Coronazeit viele positive Rückmeldungen erhalten.

Deshalb wird es uns möglich sein, hier in den kommenden Jahren neue Wege zu gehen.

Eine Förderung der Weiterbildung in der digitalen Ausstattung durch den Bund, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, ist dabei von grundlegender Bedeutung.

Wir sind dazu seitens der KMK mit dem BMBF in einen stetigen Austausch. Unlängst hatten wir diesbezüglich ein Gespräch mit Frau Staatssekretärin Haugg. Mir ist absolut klar, dass die Zeiten äußerst herausfordernd sind. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Politik zeitgleich mit einer solchen Anzahl an Großkrisen zu tun hatte. Die Herausforderungen besteht darin, neben der Bewältigung dieser Krisen unsere alltäglichen Aufgaben nicht aus dem Blick zu verlieren. Und dazu zählt, das Thema Digitalisierung in der Weiterbildung voran zu bringen. Ich bin ein Optimist. Ich bin überzeugt, dass es uns gelingen wird im Sinne des Koalitionsvertrags eine für alle Seiten tragbare Lösung herbeizuführen. Denn eins ist klar, ohne eine gemeinsame Lösung kommen wir an dieser Stelle nicht voran. Daran zu arbeiten, sind wir den vielen engagierten Menschen in der Weiterbildung schuldig.

Auch inhaltlich zeigen sich große Veränderungen. Viele der Lernangebote basieren mittlerweile auf Blended Learning-Angeboten, stark ausgebaut sind bereits die Online-Fortbildungsangebote.

Die Forschung macht ebenfalls deutlich, welche Vorteile diese Lernangebote für die Motivation der Teilnehmenden aufzeigen.

Deshalb bin ich gespannt, wie sich hierbei Didaktik und Lernangebote entwickeln werden.

Ich muss sagen, das macht mir – trotz der vorgenannten Herausforderungen – Mut für die Zukunft. Lassen Sie uns daran gemeinsam tatkräftig weiterarbeiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!