Eröffnungsrede Dr Thomas Greiner, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

AlphaDekade © BMBF/ bundesfoto/Kurc


Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Benedyczuk, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

Ich freue mich sehr, Sie ich alle hier „leibhaftig“ zur diesjährigen AlphaDekade-Konferenz begrüßen zu dürfen.

Es ist wirklich eine große Freude, persönlich vor Ort in Nürnberg dabei zu sein und die Veranstaltung zu eröffnen.

Ich weiß nicht, wie’s Ihnen erging, als Sie sich für die Teilnahme an dieser Konferenz entschieden haben?

Ich glaube und hoffe, dass bei vielen die Vorfreude groß war, dass wir uns endlich wieder hier treffen können und nicht nur vor Bildschirmen sitzen.

Ich finde, das Thema unser diesjährigen AlphaDekade-Konferenz „Grundbildung in der Arbeitswelt verankern“ könnte aktueller nicht sein.

Denn Grundbildung wird gerade durch die steigenden und sich schnell wandelnden Arbeitsanforderungen immer wichtiger.

Und die Herausforderungen werden immer größer.

Nehmen Sie zum Beispiel die Dokumentationspflichten in der Pflege oder die Bedienung komplexer Maschinen in der Industrie: Der Trend ist doch überall gleich. Dabei nicht den Anschluss zu verlieren, ist eine, wenn nicht die große Herausforderung heute im Berufsleben – sich ständig weiter qualifizieren zu müssen, um einfach nicht den Anschluss zu verlieren.

Und das gilt natürlich besonders für Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können. Gerade Sie sind es aber, die viel zu wenig an Weiterbildung partizipieren können.

Dies bestätigt auch der Blick auf die Weiterbildungsquote gering literalisierter Erwachsener:

Bezogen auf ein Jahr nehmen nur ca. 31% der gering Literalisierten an einer Weiterbildung teil. Im Vergleich dazu sind es in der Gesamtbevölkerung mehr inzwischen als 55%. So die LEO-Studie 2018.

Und das, obwohl die Bereitschaft zur Teilnahme an Weiterbildung bei beiden Gruppen ähnlich hoch ausgeprägt ist.

Die Förderung des Lebensbegleitenden Lernens und der Bildungschancen aller Erwachsener ist uns im BMBF – wie Sie wissen - ein großes Anliegen.

Wir alle wissen: Wir müssen für die Zielgruppe der gering Literalisierten und der gering Qualifizierten mehr Angebote schaffen.

Und wir müssen Zugangshürden abbauen. Arbeitsorientierte Alphabetisierung und Grundbildung ist deshalb seit Beginn der AlphaDekade einer unserer zentralen Förderschwerpunkte.

Das BMBF finanziert dafür unter der aktuellen Förderrichtlinie neun wegweisende Modellprojekte mit einem Gesamtvolumen von 24 Millionen Euro.

Und diese Projekte sind wirklich Innovationstreiber. Sie zeigen modellhaft, wie arbeitsorientierte Alphabetisierung und Grundbildung noch besser gelingen kann.

Wie kann es uns nun gelingen, modellhafte Ansätze in die Breite zu tragen und in Regelstrukturen zu verankern?

Frau St‘in Haugg hat es in ihrer Videobotschaft betont: Einzig und allein durch noch bessere Kooperation!

Ganz entscheidend dafür wird die Nationale Weiterbildungsstrategie sein, die wir nun gemeinsam entwickeln.

Gemeinsam mit den Ländern, mit den Sozialpartnern, der Bundesagentur für Arbeit und vielen weiteren Partnern bringen BMBF und BMAS diese konzertierte Weiterbildungsstrategie gerade auf den Weg.

Und heute Vormittag wurde in Berlin das neueste Update dazu vorgestellt.

Es zeigt, dass die Ziele ambitioniert sind.
Ein zentrales Ziel ist es, die Weiterbildungsbeteiligung formal geringqualifizierter Menschen „deutlich zu steigern“.

Das Thema „Alphabetisierung und Grundkompetenzen“ nimmt in der Nationalen Weiterbildungsstrategie einen zentralen Stellenwert ein.

Expertinnen und Experten aus der Praxis, aus Wissenschaft und Verwaltung entwickeln in einer eigenen Themen-AG zu „Alphabetisierung und Grundkompetenzen“ dazu gemeinsam Handlungsempfehlungen, die dann auf der ersten Nationalen Weiterbildungskonferenz in einem Jahr vorgestellt werden sollen.

Im Fokus stehen die Potentiale der verschiedenen Regelsysteme wie:

  • betriebliche Weiterbildung in Unternehmen,
  • öffentliche Arbeitsförderung
  • und berufliche Aus- und Weiterbildung.

Lassen Sie uns darauf jeweils einen ganz kurzen Blick werfen:
Erstens: Weiterbildung in Unternehmen.

Der neuste Nationale Bildungsbericht hat es wieder eindeutig gezeigt: Die meisten Aktivitäten in der Weiterbildung entfallen auf Betriebe.

Unternehmen, die in den letzten Jahren Geringqualifizierte beschäftigt haben, erwarten zu 60% steigende Anforderungen an Grundkompetenzen.

Als besonders relevant erachtet werden Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und grundlegende PC-Kenntnisse.

Und auch beim Lesen und Schreiben in Deutsch wird von mehr als 40% dieser Unternehmen ein Anstieg der Anforderungen erwartet.

Die Zahl der Betriebe, die arbeitsorientierte Grundbildungsangebote durchführen, ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, bleibt allerdings weiter eher gering.

Gerade kleine und mittelständische Unternehmen wissen oft viel zu wenig über geeignete Fördermöglichkeiten und Bedarfe der Zielgruppe.

Arbeitsorientierte Alphabetisierung und Grundbildung ist noch immer kein Selbstläufer. Man könnte auch sagen: Sie ist noch nicht „marktfähig“.

Wichtig ist daher: die Kooperationen zwischen Bildungsanbietern und Unternehmen systematisch weiterzuentwickeln und bestehende Beratungsstrukturen noch besser mit Grundbildungsexpertise auszustatten.

Denn Betriebe sollten sich dem Themenfeld stärker öffnen können. Und der Mehrwert für die Betriebe wird angesichts der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt unmittelbar deutlich.

Zweitens: die öffentliche Arbeitsmarktförderung.

Das Bild ist eindeutig: Fast jede dritte arbeitslose Person hat zu geringe Lese- und Schreibfähigkeiten bzw. Grundbildungsbedarf.

Und: Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, sind überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit betroffen.

Diese Menschen brauchen eine deutlich bessere, grundbildungssensible Beratung.
Sie brauchen Bildungsangebote, die den nachholenden Erwerb von Grundkompetenzen niederschwellig ermöglichen.

Grundsätzlich ist dies im Rahmen der bestehenden Regularien ja möglich.

Doch die Hürde liegt oft in der Umsetzung,
wenn beispielsweise eine große Mindest-Anzahl an Teilnehmenden in Kursen vorausgesetzt wird.

Deshalb wird es nötig sein, in den Regularien der Arbeitsförderung eine bedarfsorientierte und anschlussfähige Förderung von Grundkompetenzen noch besser zu ermöglichen.

Damit komme ich zum dritten und letzten Punkt:
Nicht erst der Blick in das heutige Programm zeigt: Die vielfältigen Schnittstellen von Alphabetisierung und Grundbildung zum System der beruflichen Aus- und Weiterbildung insgesamt haben Potential.

Neben erwerbstätigen und arbeitslosen Menschen stehen auch jüngere Personen im Übergangs- und Ausbildungssystem im Fokus.

Das ist entscheidend. Denn gerade bei jungen Menschen stehen die Chancen gut, dass sie ihre Grundkompetenzen durch frühzeitige und praktische Anwendung stärken.

Denn die große Bedeutung des „use it or loose it“ wurde inzwischen ja auch wissenschaftlich belegt.

Wir alle wissen: Weiterbildung wird „notwendiger denn je“. Das betont die Nationale Weiterbildungsstrategie,
und das betont auch die neue Fachkräftestrategie der Bundesregierung.

Es gilt, gerade bildungsbenachteiligten Erwachsenen neue Bildungswege zu eröffnen und ihre Potentiale besser zu fördern und zu nutzen.

Arbeitsorientierte Alphabetisierung und Grundbildung nehmen dabei einen zentralen Stellenwert ein:

  • Bezogen auf den Fachkräftebedarf.
  • Bezogen auf die Teilhabe aller Erwachsenen an einer dynamischen Wissensgesellschaft
  • und bezogen auf kontinuierliche Bildungschancen über die ganze Lebensspanne hin.

Unser gemeinsames Anliegen muss es deshalb sein, dies immer wieder herauszustellen und in unserem jeweiligen Verantwortungsbereich voranzubringen.

Das BMBF wird seine Verantwortung weiterhin wahrnehmen.

Nur in der Kooperation,

  • über alle staatlichen Ebenen,
  • zwischen Staat und Sozialpartnern,
  • und gemeinsam mit Wissenschaft und Praxis

können wir die dringend notwendigen Verbesserungen erreichen
für die Menschen, die diese Hilfe dringend brauchen.

Genau dem dient diese Dekade-Konferenz.

Ich wünsche Ihnen zwei spannende Tage.

Vielen Dank!