In Deutschland gelten etwa 6.2 Millionen Erwachsene als gering literalisiert. Über die vielfältigen Ursachen, die zu geringer Literalität führen, wissen wir allerdings vergleichsweise wenig. Seit langem bekannt ist hingegen, dass kognitive Ursachen zur Entstehung von Lese- und Rechtschreibproblemen bei Kindern (Lese- Rechtschreib- Störung, LRS) beitragen. Zu nennen sind hier beispielsweise mangelnde phonologische Bewusstheit, ein beeinträchtigtes phonologisches Arbeitsgedächtnis oder Aufmerksamkeitsprobleme.
Inwieweit diese und andere kognitive Faktoren für die Entstehung geringer Literalität Erwachsener relevant sind, ist jedoch weitgehend ungeklärt. So liegt nur bei etwa 7% der gering literalisierten Erwachsenen eine diagnostizierte LRS vor. Das Konzept der LRS fokussiert vor allem auf die Lesegeschwindigkeit, während geringe Literalität von Erwachsenen vor allem über mangelndes Leseverständnis operationalisiert wird.
Projektergebnisse
In diesem Projekt wurde ein kognitives Profil gering literalisierter Erwachsener erstellt, um Ursachen geringer Literalität auf der kognitiven Ebene identifizieren zu können. Auf Basis der Ergebnisse wurden Unterrichtsmaterialien für Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse sowie für Integrationskurse erarbeitet.
Das kognitive Profil von folgenden vier Gruppen von Personen (je 30 Teilnehmende) wurde erstellt:
- gering literalisierte Erwachsene mit Deutsch als Erstsprache,
- gering literalisierte Erwachsene mit anderen Erstsprachen (in der Erstsprache literalisiert in der Erstsprache nicht literalisiert),
- gering literalisierte Erwachsene mit Deutsch als Erstsprache und Diagnose einer LRS in der Kindheit,
- Gruppe normgerecht Lesender.
Die Ergebnisse der standardisierten psychometrischen Tests zeigen, dass bei allen untersuchten Gruppen die kognitiven Basiskompetenzen phonologische Bewusstheit und phonologisches Arbeitsgedächtnis beeinträchtigt sind. Die Defizite sind bei den gering literalisierten Erwachsenen mit Deutsch als Erstsprache deutlicher ausgeprägt als bei den Personen mit anderen Erstsprachen. Vereinzelt sind auch Defizite der Aufmerksamkeitsfunktionen und des Abrufes von Wortinformationen aus dem Langzeitgedächtnis beobachtbar.
Insgesamt erweisen sich gering literalisierte Personen mit Deutsch oder anderen Erstsprachen als sehr heterogen bzgl. ihrer kognitiven Fähigkeiten in Vorläuferfunktionen des Lesens. Daraus ist zu schließen, dass diese grundlegenden Basiskompetenzen auf Grundlage einer individuellen Diagnostik gezielt gefördert werden müssen, um die Schrift- und Sprachkompetenzen in Alphabetisierungs-/ Grundbildungs- und Integrationskursen besser zu vermitteln.