Fachforum B: Kommunikation und Ansprache mit digitalen Medien

Fünf Personen auf dem Podium. © BMBF / Heidi Scherm
v. l.: Prof. Dr. Halit Öztürk, Helga Hufnagel, Ralf Häder, Andreas Brinkmann und Johanna Lambertz

Chatbots können Ansprache und Wissensvermittlung erleichtern

Chatbots sind Dialogsysteme, die eine Kommunikation zwischen Mensch und Computer über natürliche Sprache ermöglichen. Sie verbreiten sich stark und sind ein für die Zukunft relevantes Medium. Das Projekt ALFA-Bot befasste sich daher mit der Frage, ob ein Chatbot eine geeignete Möglichkeit ist, gering literalisierte Erwachsene zu erreichen, sie im Alltag zu unterstützen und ihnen Hilfsangebote zu vermitteln. Prof. Dr. Bauer gibt in seinem Vortrag Einblicke in die Herangehensweise.

Es wurde ein Prototyp als Mobil-App mit dem Namen „Lalo“ (griechisch für gesprächig) entwickelt und mit verschiedenen Themen, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen, ausgestattet. Ausgesucht wurden die Themen: die Bundestagswahl 2021 und die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2022 sowie die Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Kleine Sprachlerneinheiten sowie ein Themenblock zu finanzieller Grundbildung ergänzten das Angebot. In Lese- und Schreibkursen wurde das jeweilige Thema mit Teilnehmenden erprobt und evaluiert.

Die Befragungsergebnisse zeigen, dass Chatbots ein geeignetes Ansprache-Medium für gering literalisierte Erwachsene der Alpha-Level 2 und 3 sind. Denn 90 Prozent der Befragten gaben an, über ein eigenes Smartphone zu verfügen. Damit geht meistens ausreichende technische Kompetenz zur Nutzung der App einher. 80 Prozent fanden die Antworten von Lalo gut verständlich sowie informativ und hilfreich. Hier zeigt sich ein weiterer Vorteil: Chatbots sind eine sinnvolle Wissensquelle für die Zielgruppe. Dies gilt insbesondere in Verbindung mit anderen Alphabetisierungsmaßnahmen.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz von Chatbots als Hilfsmittel liegt für Prof. Dr. Bauer darin, dass das Angebot auf die Bedürfnisse gering literalisierter Erwachsener abgestimmt ist. Für die App Lalo wurden alle Antworten in einfacher Sprache aufbereitet. Zusätzlich wurde sie mit barrierearmen Kontrasten und der barrierearmen Schriftart Semikolon Plus ausgerüstet. Damit hebt sich die App von anderen Chatbots oder KI-Assistenten deutlich ab.

Drei unterschiedliche digitale Nutzungstypen

Eine Frau spricht in eine Mikrofon, drei Männer hören zu © BMBF / Heidi Scherm

Auch gering literalisierte Erwachsene nutzen das Internet, aber wie sieht ihr Nutzungsverhalten aus? Wie kann das Internet dabei helfen, gering literalisierte Erwachsene direkt oder ihr Umfeld auf Angebote der Alphabetisierung und Grundbildung aufmerksam zu machen? Das Projekt DiAnA hat diese Fragestellungen untersucht. Frau Lüneberg erläutert in ihrem Vortrag, dass unter Heranziehung der Kriterien „Literalitätsniveau“ im Spektrum der geringen Literalität und „Interneterfahrung“ drei digitale Nutzungstypen ausfindig gemacht wurden.

Die „Digital Angeschlossenen“ verfügen sowohl über ein höheres Literalitätsniveau als auch über eine höhere Interneterfahrung. Bei Personen im „Digitalen Mittelfeld“ ist das Literalitätsniveau gering und die Interneterfahrung hoch. Bei „Digital Abgehängten“ fällt beides gering aus. Frau Lüneberg empfiehlt, die unterschiedlichen digitalen Nutzungstypen dem jeweiligen digitalen Nutzungsverhalten entsprechend auf unterschiedliche Art und Weise anzusprechen. Insbesondere im Kontext der „Digital Abgehängten“ ist für sie die Einbindung der institutionellen Netzwerke in der digitalen Ansprache von Bedeutung. Dabei sollten das Nutzungsverhalten und die Ansprache-Bedingungen in den Netzwerken mitgedacht werden, um die Chancen auf eine Unterstützungsbereitschaft zu erhöhen.

Neben digitalen Bewältigungsstrategien, die gering literalisierte Erwachsene im Umgang mit Lese- und Schreibanforderungen entwickeln, sollten auch Gründe der Nicht-Teilnahme an Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen bei der Planung digitaler Ansprache berücksichtigt werden. Zurückliegende negative Kurserfahrungen, fehlende Ressourcen für eine Teilnahme im Alltag sowie fehlende Übergänge nach einem Umbruch sind die zentralen Gründe der Nicht-Teilnahme.

Für Weiterbildungseinrichtungen mit Lernangeboten zur Alphabetisierung und Grundbildung wurde die „DiAnA-Planungshilfe“ erarbeitet, die einerseits über die gewonnenen Forschungsergebnisse informiert und die Einrichtung andererseits dabei unterstützt, eine eigene digitale Ansprachestrategie für die Zielgruppe zu entwickeln.

Kreativität im Umgang mit digitalen Medien nutzen

Ein Mann spricht in eine Mikrofon © BMBF / Heidi Scherm

Im Rahmen der Untersuchungen des Projekts DiAnA war es für Prof. Dr. Öztürk besonders auffällig, wie kreativ gering literalisierte Erwachsene mit digitalen Medien und deren Möglichkeiten umgehen. In Interviews mit Betroffenen wurde deutlich, dass gering literalisierte Menschen auf unterschiedliche technische Funktionen als digitale Bewältigungsstrategien zurückgreifen, um Lese- und Schreibanforderungen zu vermeiden, zu bewerkstelligen oder um Lernfortschritte zu erzielen. Genutzt werden die Funktionen Suchen, Diktieren, Vorlesen, Übersetzen, Prüfen und Korrigieren sowie die Audio- und Videofunktion. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, hält Prof. Dr. Öztürk es für unabdingbar, eine digitale Ansprache an genutzte digitale Bewältigungsstrategien anzupassen und damit möglichst passgenau zu gestalten.

Herr Häder bestätigt die Relevanz digitaler Bewältigungsstrategien der gering literalisierten Erwachsenen für die Konzeption digitaler Ansprache und Kommunikation mit der Zielgruppe. Etwa 60 Prozent der Probanden, die in Lese- und Schreibkursen die Mobil-App Lalo ausprobierten, ließen sich die Antworten vom Chatbot ganz oder teilweise vorlesen. Die Befürchtung, mit ihrer starken Verbreitung könnten Chatbots das Lesen, Lernen oder Rechnen überflüssig machen, teilt Herr Häder nicht. Er plädiert dafür, im Bemühen der Unterstützung von gering literalisierten Erwachsenen in ihrer sozialen Teilhabe Chatbots als einen Mosaikstein zu verstehen und die sich bietende Möglichkeit der besonders niederschwelligen Kommunikation zu nutzen.

Als Praxisvertreter weist Herr Brinkmann auf den Aspekt hin, dass Alphabetisierung und Grundbildung innerhalb der Erwachsenenbildung einen Bereich mit besonderen Anforderungen darstellen. Es fehle an geeigneten Lernmaterialien, die zum Anreichern der klassischen Lernangebote herangezogen werden könnten. Digitale Hilfsmittel wie Chatbots seien daher interessante Ansätze, nicht zuletzt wegen des Spaßfaktors. Gleichwohl sei es wichtig zu beachten, dass durch die Einrichtung eines Chatbots als ergänzendes Werkzeug in einem Alphabetisierungs- oder Grundbildungskurs die Rolle von Kursleitenden sich ändere. D.h. Kursleitende haben vieles zu erklären, so Herr Brinkmann, um Kursteilnehmende zur Nutzung des Hilfsmittels zu befähigen. Dass hierfür genügende Medienkompetenz erforderlich ist, verstehe sich von selbst.

Vier Personen sitzen auf Hockern, rechts davon die Moderatorin © BMBF / Heidi Scherm

Frau Hufnagel kann aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Grundbildungsarbeit bestätigen, dass alleine die Bereitstellung von digitalen Werkzeugen und Materialien zur Ergänzung von klassischen Lernangeboten nicht ausreicht. Auf der Seite der Kursleitenden käme es auf ihre Bereitschaft an, der Nutzung von digitalen Hilfsmitteln gegenüber offen zu sein, welche die Grundvoraussetzung zum Erwerb digitaler Medienkompetenzen ist. Und auf der Seite der Kursteilnehmenden sei es oft so, dass erst in einem Kurs oder einem Lernangebot digitale Kompetenzen erworben würden. Wenn digitale Medien und mit ihnen verbundene Angebote in der Alphabetisierung und Grundbildung genutzt werden sollen, brauche es der Begleitung und Unterstützung.

Moderation:

  • Johanna Lambertz, Arbeit und Leben Berlin Brandenburg DGB/VHS e.V.

Vortrag:

  • Prof. Dr. Gernot Bauer, FH Münster
  • Vera Lüneberg, Universität Münster

Diskussion:

  • Andreas Brinkmann, VHS-Zweckverband Wesel-Hamminkeln-Schermbeck
  • Ralf Häder, Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.
  • Helga Hufnagel, Mannheimer Abendakademie und Volkshochschule GmbH
  • Prof. Dr. Halit Öztürk, Universität Münster

Ergebnispräsentationen im Vorfeld der Konferenz