Fachforum E: Textauswahl und -gestaltung für das Unterrichten gering Literalisierter

Vier Personen sitzen auf Stehhockern an Tischen © BMBF / Heidi Scherm
v.l.: Dr. Alexis Feldmeier García, Anna-Maria Jünger, Rebekka Dinse-Fedorov, Markus Türpe

Geringe Literalität beachten – sprachliche Hürden abbauen

Fachliche Texte für den berufsbildenden Unterricht sind häufig sehr komplex, beinhalten viele Fachtermini und sind sprachlich auf dem Niveau C1/C2 anzusiedeln und daher für gering literalisierte Schülerinnen und Schüler und Auszubildende (Niveau B1/B2) schwer zu verstehen, insbesondere dann, wenn ihre Herkunftssprache nicht Deutsch ist. In seinem Input-Vortrag erläutert Dr. Alexis Feldmeier García das Vorgehen im Projekt Einfach Alpha!.

Im Projekt Einfach Alpha! wurden im berufsbildenden Kontext verwendete Texte auf sprachliche Hürden für gering Literalisierte untersucht und Vereinfachungen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen in Kooperation mit dem Handwerksbildungszentrum Brackwede empirisch erprobt. Die Praxisanwendungen haben gezeigt, dass Textvereinfachungen ohne Verlust von Inhalt und Fachterminologie möglich sind. Die Vereinfachung von Fachtexten unterstützt Lernende, den fachlichen Inhalt leichter zu erschließen und trägt in Teilen auch dazu bei, die Sprachkompetenz zu fördern. Dies kann beispielsweise erreicht werden durch Verringerung der Wortlänge (Mediopunkt als Trennungselement), durch Aufzählungen (zeitliche Linearität), einfache Satzstrukturen (Subjekt-Verb-Objekt), keine Worttrennungen am Satzende, weniger Nominalstil (u.a. weniger Substantivierungen) etc.

Für mehrsprachige Bildungskontexte, die aus Sicht von Dr. Alexis Feldmeier García eher die Normalsituation darstellen, sind mehrsprachige Ansätze zu empfehlen. Für Lehrkräfte und Ausbildende mit geringen oder keinen linguistischen Vorkenntnissen wurde eine Handreichung erarbeitet, die sie dabei unterstützt, sprachliche Vereinfachungen in der geschriebenen Sprache anzuwenden.

Sichtwortschatz fördert Leseflüssigkeit

Das Projekt LegelitE hat untersucht, wie Kursleitende in Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen Verfahren zur Leseförderung einsetzen und welche Überzeugungen und welches Wissen sie bezogen auf die Förderung der Leseflüssigkeit und Lehr-/Lernvoraussetzungen der Teilnehmenden haben. Anna-Maria Jünger veranschaulicht in ihrem Inputvortrag die Bedeutung des Sichtwortschatzes für die Förderung der Leseflüssigkeit und damit für das Leseverstehen.

„Wir lesen nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern Wörter als Ganzes“. Beim Lesenlernen wird dieser Sichtwortschatz im mentalen Gedächtnis gespeichert und bildet die Grundlage für die Förderung von Leseflüssigkeit. Leseflüssigkeit ist die Fähigkeit, Texte fehlerfrei, auf Wortebene automatisiert in einem angemessenen Tempo sowie betont und ausdrucksvoll zu lesen und stellt die Brücke zum Leseverständnis dar. Maßnahmen zur Förderung der Leseflüssigkeit sind beispielsweise: laut lesen, wiederholend lesen, passende Texte wählen sowie korrektives Feedback und emotionale Unterstützung erhalten. Das setzt unter anderem voraus, dass Kursleitende die Lesefähigkeiten ihrer Teilnehmenden diagnostizieren sowie die Lesbarkeit von Texten ermitteln.

Ergebnisse von 21 Kursbeobachtungen zeigen, dass die Passung zwischen Texten und Lesefähigkeiten der Teilnehmenden nur zu ca. 50 Prozent gegeben ist und oftmals Texte zu schwer sind. Neben Leseflüssigkeit gibt es aber auch weitere Anforderungen an die Gestaltung von Kursen. Dazu gehören u.a. die Vermittlung von kommunikativen Fähigkeiten, die Schaffung eines lernförderlichen Kursklimas sowie die Unterstützung soziokultureller Teilhabe.

„Learning to read?” oder “Reading to Learn?”

Rebekka Dinse-Fedorov weist aus der Sicht einer Kursleitenden darauf hin, dass die Heterogenität der Teilnehmenden im Hinblick auf die passende Textauswahl oftmals eine große Herausforderung ist, vor allem in Alphabetisierungskursen, die auf die B1-Prüfung vorbereiten. Im DaF/DaZ-Bereich gäbe es jedoch mehr differenzierte Lehrwerke, aus denen ausgewählt werden könne. Jedoch stehe hier mehr die Sprachförderung und Verstehen im Fokus: Erst muss man die Bedeutung eines Wortes verstehen, dann kann man es lesen. Dagegen geht Grundbildung oft von der Schriftlichkeit aus.  Da es in der Grundbildung kein vorgegebenes Curriculum gibt, bringen Teilnehmende Texte mit, die für sie wichtig sind und mit denen sie Probleme haben, z.B. Infos von der Kita. Das ermöglicht jedoch kein strukturiertes Lesenlernen, da Ausgangslage für diese Kurse der Alltag der Teilnehmenden ist, deren Ziele für die Zukunft und ihre Leseanlässe.

Drei Personen im profil, ein Mann spricht in ein Mikrofon © BMBF / Heidi Scherm

Markus Türpe bestätigt, dass er es auch in der Berufsschule mit einer sehr heterogenen Zielgruppe zu tun habe und die marktüblichen Fachbücher, die sich an Lernzielen zur beruflichen Qualifizierung orientierten, hier wenig Differenzierung ermöglichen. Lehrkräfte müssten dann die Texte selbst vereinfachen, was eine weitere Differenzierung auf unterschiedlichen Niveaus aus Ressourcengründen kaum erlaube. Eine Alternative sei die gemeinsame ad-hoc-Textentwicklung im Unterricht. Im Vordergrund steht, Fachwissen zu erwerben und die Prüfung zu bestehen. Zur Förderung von Sprach- und Lesefähigkeit setzt Markus Türpe auf Gruppenunterricht, fachliche Tandemarbeit sowie eigenständiges Erarbeiten von Fachinhalten.

Lesen als solches lässt sich im Berufsschulunterricht schwierig umsetzen, da es den Schülerinnen und Schülern an Verständnis für den Erwerb von Lesefähigkeit fehle. Die Herausforderung besteht allgemein darin, Lernende zu Subjekten ihres Lernprozesses zu machen, sodass sie selbst den Mehrwert erkennen und praktisch erfahren.

Moderation:

  • Prof. Dr. Cornelia Rosebrock, Universität Frankfurt a.M.

Vortrag:

  • Dr. Alexis Feldmeier García, Universität Münster
  • Anna-Maria Jünger, Pädagogische Hochschule Heidelberg

Diskussion:

  • Rebekka Dinse-Fedorov, Kreisvolkshochschule Freudenstadt
  • Markus Türpe, Johannes-Gutenberg-Schule Heidelberg
  • Anna-Maria Jünger, Pädagogische Hochschule Heidelberg
  • Dr. Alexis Feldmeier García, Universität Münster

Ergebnispräsentationen im Vorfeld der Konferenz