Fachforum G: Sensibilisierung Lehrender im Kontext der beruflichen Bildung

Fünf Personen auf einer Bühne, ein Mann spricht in ein Mikrofon © BMBF / Heidi Scherm
v.l.: Cecilia Küchler, Marco Hahn, Dr. Henning Harrer, Anne Rieke, Prof. Dr. Christian Efing

Schriftsprachförderung – erforderlich an allen Lernorten

Jeder fünfte junge Erwachsene mündet nach dem Verlassen der Schule in das berufliche Übergangssystem, und viele schaffen es nicht, in die berufliche Ausbildung zu wechseln. Eine Hürde sind oft mangelhafte schriftsprachliche Kompetenzen. Das Projekt KOFISCH hat untersucht, mit welchen Schreibanforderungen Teilnehmende in berufsvorbereitenden Maßnahmen des Übergangssystems konfrontiert und welche schriftsprachlichen Kompetenzen für die Bewältigung dieser notwendig sind. Neben der Anforderungsanalyse waren die Entwicklung eines Förderkonzepts für die Schreibförderung im Übergangssystem sowie die Untersuchung der Wirksamkeit des Förderkonzepts weitere Schwerpunkte der Projektarbeit.

Prof. Dr. Efing erläutert in seinem Vortrag die Vorgehensweise im Projekt. Rund 800 Texte von Jugendlichen, die an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen des Praxispartners teilnahmen, wurden analysiert und ein Förderkonzept mit handlungsintegriertem Ansatz entwickelt und erprobt. Bei den Jugendlichen, die an der Erprobung des Förderkonzepts teilnahmen, konnte eine Verbesserung der Kompetenzen festgestellt werden, allerdings nicht in allen Bewertungskriterien. Dieses Resultat und Erkenntnisse aus Interviews mit Anleitenden, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Lehrkräften führen nach Ansicht von Prof. Dr. Efing zu der Schlussfolgerung: Die Förderung schriftsprachlicher Kompetenzen ist als Aufgabe aller Lernorte zu verstehen, somit auch der Betriebe und Werkstätte.

Zwar hätten Anleitende und Lehrkräfte keine sprachdidaktische Ausbildung, aber es gehe auch nicht darum, dass sie zu Fachleuten für Alphabetisierung werden sollen. Vielmehr käme es auf die Sensibilisierung an, so beispielsweise für die eigene Rolle als Schreibvorbild und für die Kenntnis und den Einsatz von handlungsorientierten Fördermaterialien. Über Fortbildungen lässt sich die Sensibilisierung erreichen, so Prof. Dr. Efing, damit aber Anleitende und Lehrkräfte an Fortbildungen teilnehmen und (Schrift-)Sprachförderung aktiv betreiben können, brauche es Zeit.

Auf bestärkende Lernmomente und Anreize achten

Professionelles pädagogisches Handeln im Grundbildungsbereich verlangt ein Verständnis der Lernprozesse gering Literalisierter. Das Projekt ReLa-Beruf hat daher untersucht, welche Faktoren das Lernen von jungen Erwachsenen mit geringer Literalität in der beruflichen Bildung beeinflussen und wie sie mit ihrer eingeschränkten Schriftsprachfähigkeit umgehen. In die Untersuchung einbezogen wurden auch Teilnehmende von Grundbildungskursen als Vergleichsgruppe.

In ihrem Input-Vortrag veranschaulicht Frau Rieke die Notwendigkeit, dass gering Literalisierte in der beruflichen Bildung fördernde und bestärkende Lernmomente und Anreize brauchen. Die narrativ-biographischen Interviews mit der Zielgruppe hätten zwar die Abhängigkeit der Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen von sozialen, kulturellen und ökonomischen Faktoren sowie vom eigenen und familiären Bildungshintergrund bestätigt. Aber sie hätten auch gezeigt, dass Lernende mit eingeschränkter Schriftsprachfähigkeit in der beruflichen Bildung ihr Lernverhalten und die Lernumgebung reflektieren sowie individuelle und kollektive Strategien anwenden, um schulische Anforderungen zu bewerkstelligen. Praktizierte Strategien sind beispielsweise das Lernen durch Nachahmung, gegenseitiges Darstellen und Fragenstellen, gleichzeitiges Lesen und Hören sowie das Tagebuchschreiben.

Welche Rückschlüsse lassen sich nun daraus für das professionelle pädagogische Handeln ziehen? Insbesondere sollten Bedarfe, die sich aus der Perspektive der Lernenden zeigen, dem pädagogischen Handeln zugrunde gelegt werden, erläutert Frau Rieke. Hierzu gehöre ein vertrauensvolles und sicheres Lernsetting, das unter anderem auf Anerkennung und Wertschätzung sowie auf stabile Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden setzt. Ebenso sei eine methodisch-didaktische Unterrichtsgestaltung erforderlich, die praxisnahes und multimediales Lernen ermöglicht sowie Raum für Austausch, Fragen und Erklärungen schafft. Damit dies alles umgesetzt werden könne, so Frau Rieke, brauche es eine umfassende Sensibilisierung der Lehrenden zum Beispiel in puncto, wie bestehende Lernstrategien der Lernenden weiterentwickelt und lebensweltlich-praktische Bezüge zwischen Unterrichtsmaterial und Lernenden erreicht werden können.

Eine Frau vor einem Laptop am Stehpult © BMBF / Heidi Scherm

Zwischen Subjektorientierung und Grenzen des Möglichen

Dr. Harrer schildert aus der Sicht eines Lehrenden in berufsvorbereitenden Maßnahmen, weshalb die Vertrauens- und Beziehungsarbeit zu Lernenden besonders wichtig ist und die Förderung ihrer schriftsprachlichen Kompetenzen aber an Grenzen stößt. Bei den Teilnehmenden der berufsvorbereitenden Maßnahmen handele es sich häufig um junge Menschen im Alter von 17 bis 20 Jahren, die den Schulunterricht verweigert hätten und durch die Vermittlung der Berufsberatung zu der Maßnahme gekommen wären. Oft dauere es bis zu sechs Monate, bis die Jugendlichen den Sinn der angebotenen Maßnahme erkennen und regelmäßig daran teilnehmen.

Hierbei sei es entscheidend, die Frustration, die sie bisheriger erlebt hätten, abzubauen. Die zeitintensive Beziehungsarbeit diene somit der Stabilisierung der Jugendlichen, damit sie überhaupt auf neue Gedanken kommen und Alternativen sehen können. Zeit für die Förderung ihrer schriftsprachlichen Kompetenzen bleibe unter diesen Umständen wenig übrig. Die Heterogenität der Teilnehmenden mache die Arbeit noch weniger leichter.

Ein Man spricht stehend in ein Mikrofon, dahinter drei Personen sitzend auf Hockern © BMBF / Heidi Scherm

Als Leiter einer Berufsfachschule kennt Herr Hahn die Herausforderung, die eine heterogene Zusammensetzung der Lernenden mit sich bringt. Aber er hält es für unumgänglich, dass das Bildungssystem die jungen Menschen dort abholt, wo sie stehen. Praktisch bedeute dies, schulisch einen Schritt zurückzugehen und zu schauen, wie Lese- und Schreibschwierigkeiten bei den betroffenen Menschen zustande gekommen sind. Schließlich sei es nicht so, dass Jugendliche mit Lernen nichts zu tun haben wollten, letzten Endes würden sie das reproduzieren, was sie bisher gehört, gesehen oder erlebt hätten.

Von daher besteht für Herrn Hahn die zentrale Aufgabe der Lehrenden und Pädagogen darin, bei den Lernenden für positive Lernerfahrungen zu sorgen und sie zum Weiterlernen zu bringen. Dies erfordere situatives Vorgehen („Was brauchen die Jugendlichen?“) und pädagogische Beziehungsarbeit. In der Arbeit mit Lernenden, die Lese- und Schreibschwierigkeiten haben, sei das Methodisch-Didaktische auch wichtig, aber nicht primär entscheidend. An oberste Stelle stehe für ihn eines: klare Subjektorientierung.  

Moderation:

  • Cecilia Küchler, RWTH Aachen 

Vortrag:

  • Prof. Dr. Christian Efing, RWTH Aachen
  • Anne Rieke, Humboldt-Universität zu Berlin

Diskussion:

  • Prof. Dr. Christian Efing, RWTH Aachen
  • Marco Hahn, Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH, Berlin
  • Dr. Henning Harrer, Werkstatt im Kreis Unna GmbH
  • Anne Rieke, Humboldt-Universität zu Berlin

Ergebnispräsentationen im Vorfeld der Konferenz