ChatGPT und KI als mögliche Lern- und Alltagshelfer?
Dr. Anke Grotlüschen, Professorin für Lebenslanges Lernen an der Universität Hamburg, berichtet vom ersten öffentlichen „Literacy Promptathon“, den die Universität Hamburg anlässlich des Weltalphabetisierungstags 2023 durchgeführt hat. Ziel des Eventformates war, herauszufinden, inwieweit Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz durch KI-Systeme unterstützt werden können. In drei parallelen Workshops befassten sich 90 Teilnehmende aus Wissenschaft, Erwachsenen- und Grundbildung sowie betroffene Menschen mit dem Einstieg und dem Umgang mit text- und bildgenerierenden KI-Tools.
So probierten die Teilnehmenden aus, wie die KI beim Formulieren von Texten (z.B. Bewerbungsschreiben) unterstützen oder einen Text auf Schreibfehler überprüfen kann. Die Erkenntnis der Teilnehmenden: Viele Aufgaben wurden durch die KI sehr gut gelöst, ChatGPT gab aber auch falsche Antworten. Es sei daher wichtig, die Antworten kritisch zu hinterfragen, betont Dr. Anke Grotlüschen. „Das Literacy Promptathon war sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Lernenden ein Einstieg in etwas Neues. Es ging um begleitetes Ausprobieren: Bei diesem Eventformat begeben wir uns alle gemeinsam in ein Abenteuer, probieren Dinge aus und finden heraus, was wir alle noch nicht kennen“, resümiert Dr. Anke Grotlüschen.
Lesen und Schreiben lernen mit digitalem vhs-Lernportal
Gundula Frieling, Stellvertretende Verbandsdirektorin beim Deutschen Volkshochschul-Verband in Bonn, berichtet von den positiven Erfahrungen der Nutzenden des seit 2002 bestehenden vhs-Lernportals. Das Portal begleitet die Lernenden auf ihrem Lern- und Bildungsweg: Es setzt niedrigschwellig an beim Beginn des Lesen- und Schreiben-Lernens und führt einen kontinuierlichen, progressiven Weg bis zur Berufssprache Deutsch. Es enthält auch branchenorientiere Arbeits- und Lernmaterialien (z.B. für Pflegeberufe) sowie ganz aktuell den neuen Bereich „Digitale Welt“, u.a. zur Vermittlung von Informations-, Daten- und Mediennutzungskompetenzen. Das Lernportal werde sehr gut angenommen: Mittlerweile nutzen es 1,8 Millionen Menschen weltweit.
Gundula Frieling weist darauf hin, dass die Lernplattform als Blended-Learning-Instrument aufgesetzt sei: „Ein solches Lernportal – auch wenn es noch so interaktiv, facettenreich und interessant gestaltet ist – ersetzt dennoch keinen Präsenzunterricht“, erklärt sie. In den Präsenzkursen werde das vhs-Lernportal als Blended-Learning-Instrument eingesetzt, darüber hinaus nutzen es viele Lernende begleitend zum Präsenzunterricht. Als zeit- und ortsunabhängig nutzbar, ermögliche es asynchrones Lernen. Sehr hilfreich sei auch der barrierearme und multilinguale Zugang in 22 Sprachen, so Gundula Frieling. Lernende könnten im Portal einen Einstufungstest – die im Rahmen des vom BMBF-geförderten Projekts Rahmencurriculum entstandene „Alpha-Kurzdiagnostik“ – machen. Danach werden ihnen Lerneinheiten ihrem Lernstand entsprechend zugewiesen.
KI wird im vhs-Lernportal beim adaptiven Lernen im Kurs „Schreiben“ genutzt. Der Algorithmus PyCoa steuert aufgrund einer Fehleranalyse den weiteren Lernweg, d.h. er weist Lernenden passgenaue Aufgaben zu, die dabei helfen, Fehler zu minimieren. Gundula Frieling hebt aber auch die Anforderungen an das Lehrpersonal hervor: „Auch der digital gestützte Unterricht muss didaktisch gut sein. Dazu braucht es Fortbildungen, in denen mehr vermittelt wird als Nutzungskompetenzen.“
Lernplattform DIGIalpha macht digitale Tools für Bildungspersonal zugänglich
Bei der Unterstützung des Lehrpersonals setzt auch Dominique Dauser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg an: Die im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg vom f-bb entwickelte Lernplattform DIGIalpha soll Lehrkräften helfen, selbst medien(-pädagogische) Kompetenzen aufzubauen und Lernenden digitale Grundkompetenzen zu vermitteln, um letztlich eine digital gestützte Lernprozessbegleitung zu ermöglichen. Die Lernplattform wurde gemeinsam mit Lernenden und Lehrenden entwickelt und enthält Unterrichtsleitfäden, Praxishilfen und so genannte „Learning Nuggets“, die erklären, wie man digitale Tools einsetzt, um auch wenig erfahrene Lehrkräfte mitzunehmen. Die Lehr-/Lernmaterialien seien in einen didaktischen Rahmen eingebettet - beispielsweise nützliche Apps zum Lesen- und Schreibenlernen, Lernspiele, Lernbausteine zum Einrichten einer E-Mailadresse etc. „So können Bildungsanbieter ihr Kursangebote auf die Anforderungen einer zunehmend mediatisierten Welt hin neu ausrichten“, erklärt Dominique Dauser. Den Lehrkräften werde aufgezeigt, wie sie digitale Medien verstärkt im Unterricht einsetzen können, um die Lernenden zum Selbstlernen anzuregen.
Wichtig sei, von den Bedürfnissen und Zielen der Lernenden auszugehen und für ein positives Lernumfeld zu sorgen. „Digital angereichertes Lernen soll Spaß machen – und mit digitalen Abfrage- und Übungstools macht das Lernen Spaß!“, so Dominique Dauser. Die Erprobungen wurden dann zu einem richtigen Edutainment – also einer Verbindung von Lernen (Education) und Unterhaltung (Entertainment) – die Lernenden waren begeistert. „Neben der technischen Ausstattung muss man den Lernenden auch Raum geben zum Ausprobieren – eigene Erfahrungen zu sammeln ist wichtig“, betont Dominique Dauser. Darüber hinaus sei es unerlässlich, das Lehrpersonal fortzubilden: „Es genügt nicht, die Volkshochschulen und Grundbildungszentren mit interaktiven Whiteboards und Tablets auszustatten. Damit diese Medien auch genutzt werden, brauchen die Lehrkräfte Hilfestellungen bei der digital gestützten Unterrichtsgestaltung.“
Neben den Chancen auch die Risiken der KI berücksichtigen
„Chance und Risiko bei der Nutzung von KI liegen darin, dass wir auch Datenkompetenz vermitteln müssen“, betont Gundula Frieling. „Es geht nicht nur darum, digitale Instrumente nutzen zu können, dabei Spaß zu haben und damit Grundbildungskompetenzen aufzubauen, sondern es geht auch darum, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Im Privatleben, im Berufs- und im Lernalltag müsse jede Person in der Lage sein zu erkennen, was eine richtige Information und was eine Falschinformation ist. „Wenn wir diese Kompetenz nicht vermitteln, dann nutzt uns die Digitalisierung nicht viel, denn nur Geräte bedienen zu können, macht noch keinen souveränen Umgang mit Daten aus,“ sagt Gundula Frieling.
Dr. Anke Grotlüschen sieht bei der Nutzung der KI vor allem drei Risiken: Falschinformationen, Verzerrungen und Stereotypisierungen sowie das Dateneinsammeln. Die drei zentralen Gefahren des Schreibens mit KI bestehen daher aus „halluziniertem Text“, dem von Katharina Zweig herausgearbeiteten „algorithmischen Bias“ und dem von Shoshana Zuboff so genannten „Überwachungs- und Datenkapitalismus“.
Die wenigsten Nutzerinnen und Nutzer von KI prüfen, ob die erhaltenen Angaben stimmen. Der Faktencheck – also das Überprüfen der Quelle, falle gering Literalisierten besonders schwer. „Das kontrollierte Lesen braucht Übung“, erklärt Dr. Anke Grotlüschen. Eine von ihr im Sommer 2023 durchgeführte Ad-hoc-Untersuchung „Schreiben mit künstlicher Intelligenz“ ergab, dass ungeübte Nutzerinnen und Nutzer häufiger korrekte Informationen erwarten und Informationen glaubhaft finden als geübte. Während alle KI-Nutzenden der Untersuchung darauf achteten, nicht auf Fake News hereinzufallen, überprüften oder hinterfragten jedoch nur 26 Prozent der Ungeübten die Antworten.
Dominique Dauser plädiert dafür, eher auf die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Teilhabe zu sehen und nicht so sehr auf die Risiken: „Vor ChatGPT waren wir KI eher passiv ausgesetzt, indem unser Konsumverhalten analysiert wurde. Nun haben wir die Chance, die Tools auch für uns zu nutzen und in der Grundbildung einzusetzen“, betont sie. In unserer mediatisierten Welt würde sie gesellschaftliche und digitale Teilhabe gleichsetzen wollen: „Wenn wir Lernende befähigen, digitale Medien als Lern- und Alltagshelfer zu nutzen, dann befördern wir auch ihre gesellschaftliche Teilhabe.“
Moderation:
- Gesa Dankwerth
Teilnehmerinnen:
- Dr. Anke Grotlüschen, Professorin für Lebenslanges Lernen an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg
- Gundula Frieling, Stellvertretende Verbandsdirektorin beim Deutschen Volkshochschul-Verband e.V. in Bonn
- Dominique Dauser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg