Gesprächsrunde „Grundbildung zwischen Professionalisierung und Profession“

Drei Frauen auf einem Podium © BMBF / Heidi Scherm
v.l.: Moderatorin Gesa Dankwerth, Prof. Dr. Ilka Koppel, Sonja Muckenhuber, Jana Wälchli

Dr. Ilka Koppel, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, berichtet von ihren Erfahrungen als Leiterin der Wissenschaftlich-Didaktische Beratungs- und Weiterbildungsstelle zur Professionalisierung in der Grundbildung (WiBeG). Deren Aufgaben sind die Vernetzung der Kursleitenden, die Beratung und auch die Qualifizierung der Akteure in der Alphabetisierung und Grundbildung. Dabei bietet die WiBeG bedarfsorientierte, stark modularisierte Angebote an, die ko-konstruktiv in Zusammenarbeit mit der Praxis entwickelt wurden. Künftig sollen auch „Massive Open Online Courses“ (MOOC) angeboten und aktuelle Themen wie KI aufgegriffen werden.

Als Faktoren für den Erfolg des Projekts sieht Dr. Ilka Koppel die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis – die Mitarbeitenden der WiBeG kommen aus beiden Bereichen – an: „Dies ist etwas, was sehr stark dazu beigetragen hat, dass die Formate gut angenommen wurden und wir viele Kursleitende in unseren Angeboten hatten“, sagt sie. Hinzu komme, dass das Team sehr schnell auf die Anforderungen in der Praxis reagieren könne. Auf positive Resonanz stoßen auch zielgerichtete Beratungs- und Austauschformate zu konkreten praxisrelevanten Fragestellungen.

Für den Bereich der Vernetzung der Kursleitenden weist Dr. Ilka Koppel darauf hin, dass dies eine Berufsgruppe sei, die meist auf Honorarbasis aktiv und nicht so stark in institutionelle Strukturen eingebunden sei. Daher brauche es spezielle Formate, um die Vernetzung voranzutreiben. Bewährt habe sich bspw. die Einrichtung von professionellen Lerngemeinschaften (Communities of Practice).

In Österreich schreitet Standardisierung voran

Eine Frau mit Mikrofon auf dem Podium © BMBF / Heidi Scherm

Sonja Muckenhuber vom Institut für Bildungsentwicklung Linz beschreibt in ihrem Eingangsstatement die Herausforderungen in Österreich. Dort gebe es eine immer stärkere Standardisierung von Ausbildungen, Lehrgängen und Angeboten im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung. Um in staatlich finanzierten akkreditierten Kursen der Initiative Erwachsenenbildung unterrichten zu können, müssen Trainer/-innen über eine fachspezifische Ausbildung als Basisbildner/-in verfügen. Weitere Elemente der Standardisierung sind das seit 2022 eingeführte Qualifikationsprofil für Basisbildner/-innen sowie ein Anerkennungsverfahren für dieses Berufsbild.

Neben der Fachkompetenz spielten zunehmend Themen wie erwachsenengerechtes und curriculumorientiertes Unterrichten eine Rolle. Daher seien die Anforderungen an die Qualifikation der Basisbilder/-innen sehr hoch. So müssten alle Personen, unabhängig ihres beruflichen Hintergrundes, die Mindestanforderungen der Ausbildung von 400 Unterrichtseinheiten erfüllen. Dies habe, so Sonja Muckenhuber, Vor- und Nachteile. Das Ziel sei, eine flächendeckend hohe Qualität der Basisbildungsangebote zu sichern. Allerdings seien dabei Flexibilität und eine starke Individualisierung nur noch in geringerem Maße möglich.

Ob gestiegene Qualifikationsanforderungen und Standardisierung zur Steigerung der Attraktivität des Berufs geführt haben, bleibt angesichts der Tatsache, dass zahlreiche Trainer/-innen in ungesicherten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, eine offene Frage.

Große Heterogenität innerhalb der Schweiz

Die Förderung von Grundkompetenzen Erwachsener und die Qualifizierung des Bildungspersonals gewinnt auch in der Schweiz zunehmend an Bedeutung. Im Jahr 2022 wurde in der Schweiz beim Schweizer Dachverband für Lesen und Schreiben (DVLS) die neue Fachstelle Didaktik und Digitalisierung eingerichtet. Diese hat das Ziel, die Qualität der Angebote, die Aus- und Weiterbildung von Kursleitenden sowie die Digitalisierung im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung zu stärken. „Das Oberthema heißt eigentlich Qualität, weil die Professionalisierung von Lehrenden Teil der Qualität von Grundkompetenzangeboten ist“, sagt Jana Wälchli vom Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben.

In der Schweiz kenne man ebenfalls die Problematik mit ganz unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und prekären Arbeitsverhältnissen. Zudem gebe es von Lehrenden und Anbietern den Bedarf nach Weiterbildung, aber es gebe derzeit noch wenig Angebote. Mit Blick auf die Standardisierung in Österreich und die AlphaDekade, die bereits seit 2016 Projekte umsetzt, kommentiert Jana Wälchli die Professionalisierungsbestrebungen in der Schweiz: „Wenn ich das mit Österreich und Deutschland vergleiche, da sind wir in der Schweiz noch nicht ganz so weit“.

Eine Frau mit Mikrofon auf dem Podium © BMBF / Heidi Scherm

Hinzu kämen weitere Herausforderungen: So seien die Unterschiede (Bedürfnisse und Finanzierungsmöglichkeiten) in den Kantonen groß, und das Thema Professionalisierung werde zusätzlich in den verschiedenen Sprachregionen ganz unterschiedlich adressiert. Beispielsweise gebe es in der deutschsprachigen Schweiz kaum spezifische Angebote für Kursleitende in der Grundbildung, in der französischsprachigen Schweiz dagegen mehrere einrichtungsspezifische Weiterbildungen. Dies habe zur Folge, dass es in den verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Bedürfnisse im Hinblick auf Professionalisierung und Standardisierung gebe. Eine Anbieterumfrage des DVLS von 2022 zeigt, dass in der Deutschschweiz, wo es nur wenige Qualifizierungsangebote gibt, Standardisierung eher favorisiert wird als in der Romandie, wo es schon vielfältigere Professionalisierungsstrukturen gebe.

Wie kann das Berufsfeld attraktiver werden?

Ein weiterer Schwerpunkt der Gesprächsrunde ist die Frage, wie mehr Lehrkräfte für die Alphabetisierung und Grundbildung gewonnen werden können. Dr. Ilka Koppel erklärt, man stelle fest, dass die Attraktivität des Berufsfeld entweder nicht bei den Adressatinnen und Adressaten ankomme oder die Beschäftigungsbedingungen nicht attraktiv genug seien. Eine weitere Herausforderung sei, dass in Deutschland kein klares Berufsbild existiere: Es gebe keine Forderung nach einer standardisierten Ausbildung und keine einheitliche Bezeichnung für diese Tätigkeiten. Mit einer einheitlichen Berufsbezeichnung, so Dr. Ilka Koppel, könne eine stärkere Klarheit geschaffen und auch die Attraktivität des Berufes besser kommuniziert werden.

Sonja Muckenhuber bestätigt, dass in Österreich das Qualifikationsprofil und der einheitliche Begriff Basisbilder/-in für Klarheit gesorgt habe, auch wenn die Basisbildungsangebote und die Rahmenbedingungen in der Praxis sehr unterschiedlich sind.  „Man will schon eine berufliche Identität haben“, sagt sie. Jana Wälchli erklärt, dass es in der Schweiz keine einheitliche Bezeichnung gebe. Die gemeinsame Identität sei höchstens die der Kursleitenden mit einem national anerkannten SVEB-1-Zertifikat für Erwachsenenbildner/-innen.

Internationale Vernetzung gewünscht

Eine Frau mit Mikrofon auf dem Podium © BMBF / Heidi Scherm

Einig sind sich die Diskutantinnen bei den positiven Effekten eines internationalen Austauschs. Der Austausch sei wichtig und der Bedarf vorhanden, sagt Sonja Muckenhuber. Dieser sei auch ein Teil der Professionalisierung. „Basisbilderinnen und Basisbildner haben keine Lobby. Eine internationale Vernetzung könnte so eine Lobby stärken. Auch im Hinblick auf die Veränderung von Rahmenbedingungen“, sagt Sonja Muckenhuber. Jana Wälchli betont, dass es an ganz vielen Stellen Parallelen gebe, sei es bspw. bei Projekten oder der Zusammenarbeit mit der Politik. Dr. Ilka Koppel appelliert daran, über den Tellerrand hinauszublicken und neue Zielgruppen und Lernorte für die Grundbildungsarbeit zu erschließen. Beispielweise könnten in Berufsschulen oder Berufsvorbereitungsklassen Personen aus der Alphabetisierung und Grundbildung stärker unterstützen.

Moderation:

  • Gesa Dankwerth

Teilnehmerinnen:

  • Dr. Ilka Koppel, Pädagogische Hochschule Weingarten
  • Mag.a Sonja Muckenhuber, Institut für Bildungsentwicklung Linz (BILL)
  • Jana Wälchli, Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben