Herzliche Grüße zur AlphaDekade-Konferenz 2023!
Was bedeutet es, nicht lesen und schreiben zu können?
Diesen September habe ich dazu eine beeindruckende Geschichte gelesen. Am Weltalphabetisierungstag. Über eine Frau, die erst mit 55 Jahren lesen gelernt hat. Ein Schritt in die eigene Unabhängigkeit. So spät. Aber so entschlossen. Das hat mich sehr bewegt.
Diese Geschichte zeigt, welchen Hürden Menschen begegnen können: vom Kauf der falschen Produkte bis hin zu beruflichen Einschränkungen. Ständig in Angst, dass ihr Geheimnis auffliegt. Es braucht großen Mut, um sich Hilfe zu suchen. Etwa mit einem Anruf beim ALFA-Telefon.
Deswegen müssen wir genau diesen Mut stärken. Müssen vermitteln: Es ist nie zu spät, einen solchen Schritt zu wagen. Und es lohnt sich! Lesen und Schreiben, das gibt Menschen mehr Unabhängigkeit. Mehr Gestaltungskraft, ihr Leben zu bewältigen. Ihren Alltag, mit all seinen Herausforderungen.
Lesen und Schreiben können, das heißt: sich ein eigenes Bild machen, eine eigene Meinung entwickeln – die dann auch vertreten. Das bedeutet Selbstbestimmung. Und Selbstbestimmung ist Freiheit. Aber so frei sind eben nicht alle Menschen in Deutschland. 6,2 Millionen Betroffene – sie leben mitten unter uns – können nicht richtig lesen und schreiben. Ein schockierender Befund.
Besonders beunruhigend: Der IQB-Bildungstrend 2022. Er zeigt Leistungsabfälle im Kernfach Deutsch. Bei Schülerinnen und Schülern der 9. Klasse. Wo eigentlich ganz andere Themen im Mittelpunkt stehen sollten: Berufswahl. Zukunftsträume. Ganz klar: Wir brauchen eine Trendwende in der Kompetenzentwicklung. Deswegen unser Startchancen-Programm. Gemeinsam mit den Ländern setzen wir den großen Hebel an. Damit unsere Schülerinnen und Schülern eine bessere Bildung erleben.
Bildungschancen sind Lebenschancen. Wir brauchen mehr davon. Auch für Menschen, die ihre Schullaufbahn schon durchlaufen haben. Vor allem diejenigen mit geringer Grundbildung. Das bleibt eine langfristige Herausforderung. Wer wüsste das besser als Sie, meine Damen und Herren, bei der AlphaDekade. Ich bin froh, dass wir da gemeinsam an einem Strang ziehen. Für eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Freiheit haben, ihre Potentiale zu entfalten. Eine Gesellschaft, in der alle mitgenommen werden. Und alle etwas beitragen können.Das ist die Basis für ein freiheitliches, demokratisches Zusammenleben.
Deswegen: Danke, dass Sie sich in der AlphaDekade engagieren, meine Damen und Herren. Sie helfen, die nötigen Strukturen zu schaffen. Und die richtigen Formen der Ansprache. Nicht zuletzt durch Forschungsprojekte. Sie geben Betroffenen die Zuversicht, den ersten Schritt zu gehen. In Richtung Alphabetisierung. Sie zeigen: Auch mit 55 kann man es noch schaffen. Bitte weiter so.
Ich wünsche Ihnen inspirierende Konferenztage.