Interview mit Dr. Ewelina Mania



Frage: „Frau Dr. Mania, welche Bereiche gehören denn zur finanziellen Grundbildung?“

Dr. Ewelina Mania: „Finanzielle Grundbildung bezieht sich im Unterschied zu finanzieller Allgemeinbildung immer auf die Grundkompetenzen. Also auf die Anforderungen, die eine Person für ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe haben muss. Das ist der Unterschied zu Allgemeinbildung oder Expertenwissen.“

 

Frage: „Warum ist denn aus Ihrer Sicht finanzielle Grundbildung ein wichtiger Teilbereich der Alphabetisierung und Grundbildung?“

Dr. Ewelina Mania: „Da hat sich einfach in den letzten Jahren sehr viel getan. Wenn wir uns die gesellschaftliche Entwicklung anschauen wie die Digitalisierung, das zunehmende Erfordernis privater Vorsorge oder die gestiegene Komplexität von Finanzprodukten – dann merken wir, dass die Anforderungen für jeden Einzelnen gestiegen sind. Und vor allem auch für Personen, die nicht gut lesen, schreiben und rechnen können.“

 

Frage: „Deshalb ist finanzielle Grundbildung für gering literalisierte Erwachsene so wichtig?“

Dr. Ewelina Mania: „Genau. Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass gering Literalisierte oder auch Personen mit geringer Bildung eine vulnerable Gruppe der finanziellen Bildung sind. Wir wissen, dass sie sich zum Beispiel weniger über Finanzprodukte informieren, dass sie bekannte finanzielle Praktiken wie Online-Banking weniger nutzen. Das liegt einfach daran, dass finanzielle Grundbildung verschiedene Kompetenzen umfasst. Es ist eine sehr komplexe Handlungsanforderung: Da geht es um Wissen, Lesen, Schreiben und Rechnen. Deshalb sind Personen, die eben nicht gut lesen, schreiben und rechnen können, besonders betroffen.“

 

„Die Anforderungen beim Thema Finanzen steigen“

Frage: „Steigt denn die Notwendigkeit von finanzieller Grundbildung?“

Dr. Ewelina Mania: „Auf jeden Fall. Finanzielle Grundbildung wird immer wichtiger, und dies hat verschiedene Ursachen. Einerseits ist das die bereits angesprochene gesellschaftliche Entwicklung: Steigende Erfordernisse von privater Vorsorge oder die steigende Komplexität von Finanzprodukten, da haben wir viel mehr Produkte als vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Weitere Gründe sind die Inflation und die gestiegenen Energiepreise. Dadurch ist es für Menschen wichtiger geworden, Angebote oder Tarife zu vergleichen. Hinzu kommt, dass die Überschuldung zugenommen hat. Oder ein ganz alltägliches Beispiel: Früher konnte man einfach zur Bank an den Schalter gehen und bei einem Bankangestellten Geld überweisen. Jetzt haben wir die Situation, dass viele Filialen geschlossen werden und die Menschen dadurch auf Online-Banking angewiesen sind. Also auch die Digitalisierung trägt einen Teil dazu bei, dass die alltäglichen Anforderungen beim Thema Finanzen steigen.“

Im Video gibt Dr. Ewelina Mania einen kurzen und prägnanten Überblick zum Thema.

 

Frage: „Es gibt viele verschiedene Institutionen oder Organisationen, die mit dem Thema Finanzen zu tun haben, beispielsweise Banken, Versicherungen, Ämter, Verbraucherzentralen oder soziale Einrichtungen. Ist es dort angekommen, dass Menschen vielleicht finanzielle Schwierigkeiten haben, weil sie nicht gut lesen und schreiben können?

Dr. Ewelina Mania: „Das ist ein spannender Aspekt. Als ich im ersten Projekt 2013 angefangen habe, haben wir mit Schuldnerberatungen zusammengearbeitet. Da war das Wissen zum Thema geringe Literalität nicht so ausgeprägt. Und egal, ob Beratungsstelle oder Bank: Man muss eigentlich schon sensibilisiert sein, um darauf zu kommen, dass Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben eine Ursache sein können, warum jemand vielleicht seine Briefe nicht öffnet, eine Versicherung abschließt, die er nicht braucht, oder einen teuren Stromtarif gewählt hat. Dass jemand das im Jahr 2013 wusste, war nicht selbstverständlich – aber die Offenheit dafür war da.“


Frage:
„Inwiefern?“

Dr. Ewelina Mania: „In dem Moment, in dem wir davon erzählt haben, gab es ganz häufig einen ‚Aha-Effekt‘. Nach dem Motto: ‚Ah ja, stimmt. Da kenne ich jemanden‘. Und dann konnten die Mitarbeitenden sich eben an konkrete Fälle bei ihrer Arbeit erinnern. Daraufhin haben wir im Projekt eine Liste erstellt, wie man geringe Schriftsprachkompetenzen erkennen kann. Also die Offenheit bei den entsprechenden Akteuren ist da, aber es muss eben auch immer noch dafür sensibilisiert werden.“

 

Frage: „Sie haben während ihrer Arbeit an der Erstellung des Curriculums und an Lehr- und Lernmaterialien zur finanziellen Grundbildung gearbeitet. Was sind denn Ihre Erfahrungen daraus?“

Dr. Ewelina Mania: „Das Schöne war, dass wir das nicht alleine gemacht haben. Wir haben von Anfang an gesagt, das muss in einem partizipativen Prozess laufen. Es war das Wichtigste, dass wir das Curriculum praxisnah entwickeln, damit es auch in der Praxis genutzt wird. Wir haben beim DIE die Grundprinzipien entworfen und dann mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen gemeinsam Materialsets entwickelt. Und das Tolle ist, dass die Materialien weiterhin nachgefragt werden. Wir sehen, dass auch wenn unser Projekt beendet ist, die Ergebnisse noch genutzt werden.“

„Es ist ein Thema, das alle Menschen angeht“

Frage: Welche Tipps können Sie Lehrkräften geben, die Angebote zur finanziellen Grundbildung planen?

Dr. Ewelina Mania: „Mein Tipp wäre, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern sich anzuschauen, was es schon gibt und was schon im Rahmen der AlphaDekade in den verschiedenen Projekten zu dem Thema entwickelt wurde. Da gibt es eben unter anderem die Materialien, die in CurVe II entstanden sind. Diese sind alle digital und frei verfügbar, sie können auch verändert werden. Für verschiedene Zielgruppen und verschiedene Themen finanzieller Grundbildung liegen authentische Materialien wie Rechnungen, Briefe oder Formulare vor, die man sich anschauen und dann in den eigenen Kursen oder Angeboten nutzen kann.“



Frage:
„Welche Bereiche der finanziellen Grundbildung müssen denn noch bearbeitet werden?

Dr. Ewelina Mania: „Es gibt ein Kompetenzmodell, es gibt Lehr- und Lernmaterialien, es gibt auch Fortbildungskonzepte. Aber die Frage ist: Wie können jetzt wirklich Angebotsformate entstehen, zu denen die Zielgruppen, die wir erreichen möchten, auch hingehen? Es gibt bundesweit schon viele gute Beispiele, aber es fehlt noch an Forschung zur Teilnehmendengewinnung. Wir wissen noch nicht genau, warum klappt es dort gut – und an anderer Stelle nicht. Es fehlen auch noch Fortbildungen für Lehrkräfte und Planende, die langfristig verfügbar sind.“

 

Frage: „Dies sind dann auch Inhalte Ihres neuen Projekts?“

Dr. Ewelina Mania: „Genau. Das neue Projekt heißt ‚Zugänge zu finanzieller Bildung für vulnerable Zielgruppen‘. Da geht es einmal darum, wie wir die Zielgruppe erreichen können. Das sind sozialräumliche Konzepte, da erfinden wir das Rad nicht neu. Aber die Frage ist immer, über welche Multiplikatoren es konkret funktioniert und wie man es am besten macht. Die zweite Säule ist die Qualifizierung und Professionalisierung der Planenden und der Lehrkräfte. Da möchten wir in digitalen Formaten aufzeigen, wie man Angebote entwickeln und durchführen kann. Diese Formate wollen wir langfristig verfügbar machen.“

 

Frage: „Zum Abschluss: Was macht denn die finanzielle Grundbildung für Sie so interessant?“

Dr. Ewelina Mania: „Als wir 2013 angefangen haben, gab es nicht viele Materialien zu diesem Thema auf Grundbildungsniveau. Alles, was es gab, war aus dem Bereich Schule oder Berufsbildung, beispielsweise ein Finanzführerschein für Jugendliche. Diese Pionierarbeit war sehr faszinierend. Es war spannend, das alles neu zu entwickeln. Dazu kommt: Es ist ein Thema, das alle Menschen angeht. Der Umgang mit Geld ist einfach eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Jeder muss in seinem Alltag mit Geld umgehen. Es ist eine Kompetenz, die eben alle in unserer Gesellschaft betrifft.“