Finanzielle Grundbildung vor Ort

Eine Frau steht an einem Geldautomaten © BMBF/bundesfoto/Lammel

Grundbildungszentrum Mannheim: Eine gelungene Kooperation

Und dann stapfte Helga Hufnagel mit ihrer Gruppe einfach los. Zur nächsten Bank, zum nächsten Geldautomaten – mehr Lernen in der Praxis geht eigentlich nicht. „Wir hatten eine Teilnehmerin, die Bedenken hatte, einen Geldautomaten zu bedienen. Also sind wir einfach hingegangen und haben uns angeschaut, wie der funktioniert“, erklärt Hufnagel: „Wir haben uns gemeinsam einen Kontoauszug angesehen: Was steht da eigentlich drauf – und wie liest man den richtig? Es sind oft ganz praxisbezogene Dinge, die mit Lesekompetenz zu tun haben.“

Hufnagel leitet des Grundbildungszentrums (GBZ) Mannheim, das vom Land Baden-Württemberg gefördert wird und Mittel des Europäischen Sozialfonds erhält. Das Beispiel des GBZ steht stellvertretend für viele Angebote zur finanziellen Grundbildung, die für Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten durchgeführt werden: Themen aus dem Alltag der betroffenen Menschen wie Energiekosten, Inflation, Verträge, Versicherungen oder Wohnen stehen im Mittelpunkt. Und diese Themen werden niedrigschwellig vermittelt – häufig auch mit Materialien aus AlphaDekade-Projekten.

Die Angebote sind vielfältig: So kann das Thema beispielsweise in einen Lese- und Schreibkurs integriert werden, in einem offenen Angebot behandelt oder in einer individuellen Beratung eine Rolle spielen. Doch warum ist das Thema für gering literalisierte Erwachsene so wichtig? „Die wenigsten unserer Teilnehmenden verfügen über gute finanzielle Mittel. Viele haben Schulden und schlecht bezahlte Jobs – und kein finanzielles Polster“, betont Hufnagel. Ihre Erfahrungen decken sich mit den einschlägigen Forschungsergebnissen. Laut LEO-Studie der Universität Hamburg verfügen Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten über ein durchschnittlich geringeres Einkommen und schätzen ihre finanzbezogenen Kompetenzen schwächer ein als der Durchschnitt der Bevölkerung. In Kombination stellen beide Punkte die betroffenen Menschen vor große Herausforderungen. Laut Überschuldungsreport 2023 geraten Personen ohne oder mit geringem Schulabschluss vergleichsweise häufig in finanzielle Schwierigkeiten.

Enge Kooperation mit Verbraucherzentrale

„Hier treffen zwei Schambereiche aufeinander“, sagte Hufnagel: „Das Thema Schulden und die geringe Lese- und Schreibkompetenz. Menschen denken: Ich bin selbst schuld, dass ich Schulden habe, weil ich nicht lesen und schreiben kann und dadurch das Kleingedruckte im Vertrag nicht verstanden habe.“ Im GBZ Mannheim werden bzw. wurden in drei verschiedenen Angeboten finanzielle Grundbildungsthemen eingebunden: im Lese- und Schreibkurs, im Kurs Alltagsrechnen sowie in dem offenen Beratungsformat „Verbraucher-Themen leicht erklärt“. Dafür kooperierte das GBZ mit dem Projekt „Verbraucher stärken im Quartier“.

Mitarbeitende aus der Verbraucherzentrale kamen einmal im Monat in das offene Lerncafé des GBZ und informierten in je zwei Unterrichtsstunden zu finanziellen Themen wie „Die Ausgaben im Blick behalten – Das Haushaltsbuch“ oder „Wohnen in Miete“. Gemeinsam haben die Teilnehmenden hier zum Beispiel anhand eines Wohnhaus-Wimmelbilds wichtige allgemeine Aspekte zum Thema „Wohnen“ erarbeitet. Dadurch sei niemand bloßgestellt worden, so Hufnagel: „Wer wollte, konnte konkrete Fragen loswerden und bekam hilfreiche Antworten. Wichtig war, dass die Teilnehmenden den Kurs mit mehr Wissen verlassen haben. Und auch mit dem Gefühl, dass es sich gelohnt hat.“

Eine Übersicht über die wichtigsten Fähgkeiten aus Sichter der deutschen Bevölkerung. © BMBF
Die wichtigsten Fähigkeiten aus Sicht der deutschen Bevölkerung

Die Zusammenarbeit mit dem Projekt hatte viele Vorteile. Die Mitarbeitenden der Verbraucherzentrale brachten ihre umfassenden Kompetenzen in diesem Bereich ein und gewährleisteten eine neutrale Beratung. Die Teilnehmenden, so Hufnagel, bekämen durch eine weitere Ansprechperson zusätzliche Möglichkeiten aufgezeigt, an wen sie sich bei Problemen wenden können. Als „Nebeneffekt“ ergab sich so für die Interessierten auch eine Brücke zu einem regulären Lese- und Schreibkurs. „Es war interessant zu sehen, dass man mit einem themenspezifischen Angebot das Interesse an weiteren Lernangeboten wecken konnte.“

Die Einbindung von finanziellen Themen in einen Lese- und Schreibkurs sieht Hufnagel als sehr lohnenswert an: Direkte Bezüge zum Alltag, schneller Nutzen für die Teilnehmenden – und gleichzeitig das Trainieren des Lesens und Schreibens. „Meine Erfahrung ist, dass Teilnehmende immer dankbar sind, wenn man nicht irgendeine Lektion aus irgendeinem Lehrbuch verwendet, sondern wenn man praxisnah und aktuell unterwegs ist.“

  • Niedrigschwelliges, offenes Konzept, das genug Freiräume lässt, um auf Fragestellungen und Problemlagen der Teilnehmenden einzugehen.
  • Gutes Lehrmaterial, das auf die Anforderungen der Teilnehmenden Rücksicht nimmt – am besten in Einfacher Sprache oder gänzlich ohne Schrift.
  • Lehrkraft, die flexibel auf die Teilnehmenden eingehen kann.
  • Angemessene Länge der Seminare.
  • Neutrale Bezeichnung der Veranstaltungen.
  • Themen, bei denen sich Teilnehmende gerne aktiv beteiligen möchten.

Die Impulskarten in der Praxis

Wie in der AlphaDekade entwickelte Materialien in der Praxis eingesetzt werden, verdeutlicht Laura Brinker. Sie leitet beim Bildungsträger Palais e.V. in Trier Seminare für langzeitarbeitslose Frauen, häufig mit Migrationshintergrund und/oder schlechten Lese- und Schreibkompetenzen. „Bei unseren Seminaren im Rahmen des Projekts ‚Beratung und Qualifizierung für Frauen‘ geht es vor allem darum, ganz alltagspraktische Dinge zu bearbeiten“, erklärt Brinker: „Gerade im Bereich der finanziellen Grundbildung besteht großer Bedarf. Es fehlt häufig an Wissen, wie man mit Geld umgeht – und was für Konsequenzen es hat, wenn man es nicht kann“, erklärt Brinker.

Viele Teilnehmerinnen hätten Schulden – verstünden aber nicht, wie das passieren konnte. Wichtig sind auch hier die Themen Wohnen, Miete, Energie, Schulden, Einkaufen im Internet. Auch das Führen eines Haushaltsbuchs steht auf dem Programm: „Der Umgang mit Geld muss erlernt werden.“

In ihren Seminaren setzt Brinker die Impulskarten des AlphaDekade-Projekts „Knotenpunkte für Grundbildung Transfer“ ein. Die Karten bieten neben Lese-, Schreib- und Rechenanlässen Informationen zu alltagsrelevanten Fragen und Problemstellungen – wie zum Umgang mit Geld. Das Projekt entwickelte die Karten in enger Abstimmung mit Kooperationspartnern aus der Praxis. Ausgangspunkt war der Wunsch aus der Alphabetisierungspraxis nach flexibel einsetzbaren Materialien, die aktivieren, motivieren und einen konkreten Nutzen bieten. Neben Finanzen sind Themen der Karten bspw. Ernährung, Gesundheit oder Alltagstipps.

Impulskarten vereinfachen die Vorbereitung

„Die Karten sind übersichtlich und gut strukturiert und geben zur finanziellen Grundbildung einen guten Überblick“, betont Brinker. Die Karten bieten einen guten und niedrigschwelligen Einstieg in das Thema und regen zu Diskussion und Austausch an. Denn am wertvollsten, so Brinker, sei das Gespräch der Frauen untereinander: „Dadurch bleibt am meisten hängen. Viele Teilnehmerinnen merken erst dann, dass andere Menschen die gleichen Probleme haben. Und dass man sich gegenseitig auch gut unterstützen kann, wenn man die gleichen Situationen erlebt“, sagt Brinker, die großen Wert auf Selbstermächtigung legt: „Das Thema ist so relevant, weil es die Grundvoraussetzung für ein selbständiges Leben ist: Ich entscheide eigenmächtig über mein Geld.“

Für den Einstieg in die Diskussionen nutzt sie gerne Karten mit allgemeinen Fragen. Beispielweise dazu, wer schon einmal den Stromanbieter selbst gewechselt habe. Daraus entwickelten sich dann schnell gute Gespräche, aus denen die Teilnehmenden – auch aus den Erfahrungen der anderen Frauen – direkt Nutzen ziehen können.

Für Brinker bieten die Impulskarten noch einen zusätzlichen, ganz pragmatischen Vorteil: Sie vereinfachen die Vorbereitung der Unterrichtsstunden. „Es ist dankbar, mit den Karten zu arbeiten, weil sie eine gute Grundlage bieten, ins Gespräch zu kommen“, erklärt sie: „Ich überlege mir die Struktur der Stunden, was ich machen will, was das Ziel ist und wie ich dahin komme – und die Karten unterstützen mich dabei.“

  • Einfache Fragen stellen und davon ausgehend ins Thema einsteigen.
  • Bei Karten mit viel Text diese als Ausgangspunkt nehmen und dann auf die Anforderungen der Gruppe anpassen.
  • Viele Karten bauen aufeinander auf. Diesen Vorteil kann man bei der Ausarbeitung von Angeboten nutzen.
  • Karten mit Quizfragen bieten einen hohen Mehrwert, da sie zur Reflexion der Lerninhalte beitragen.

Mehrgenerationenhaus Oldenburg: Ein Wegweiser im Geld-Dschungel

Bevor das Team des Mehrgenerationenhauses Oldenburg (MGH) andere beim Umgang mit Geld unterstützen konnte, musste es selbst erstmal dazulernen – bei der Wahl des passenden Formats. „Wir haben es zuerst mit Infoabenden zur finanziellen Grundbildung versucht, aber das haben wir schnell wieder aufgegeben. Es ist entweder keiner gekommen oder es waren Personen da, die schon viel wussten und für die das Angebot nicht gedacht war“, berichtet Angela Exner-Wallmeier, Fachbereichsleitung Soziale Dienste im Ortsverband Oldenburg der Johanniter-Unfall-Hilfe, von den Anfängen.

Davon ließ sich das Team aber nicht entmutigen, sondern probierte einen anderen Ansatz: Die Mitarbeitenden beobachteten, dass im Rahmen der offenen Lernwerkstatt im MGH der Dozent und das Team des Hauses immer häufiger um Einzelgespräche zu finanziellen Themen gebeten wurde. Daraus entstand die Idee zum individuellen Beratungsangebot „Erste Hilfe – Umgang mit Geld“, das das MGH erfolgreich zusammen mit der VHS Oldenburg umsetzt.

Immer donnerstags beantwortet der Dozent im MGH Fragen zur individuellen persönlichen Situation. Da das MGH Teil des Sonderschwerpunkts „Förderung der Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen“ ist, suchen zum größten Teil Erwachsene mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben in der Sprechstunde Rat. Der Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass Hemmnisse oder Scham durch das Offenlegen der Probleme vor einer größeren Gruppe vermieden werden.

Idee aus AlphaDekade-Projekt CurVe II

Bei den individuellen Beratungen geht es meistens um Dinge wie Fragen zur Eröffnung eines Bankkontos, zur Wohnung, zur Suche nach einem Telefonanbieter, aber auch um Unterstützung beim Lesen von Gehalts- und Nebenkostenabrechnungen. „Es ist eine offene, niedrigschwellige Anlaufstelle“, betont Exner-Wallmeier: „Der Dozent der VHS hört sich die Problematik an und versucht dann, mit den Ratsuchenden gemeinsam eine Lösung zu finden. Manchmal geht das sofort, aber wenn größeres Fachwissen gefragt ist, gibt er die Beratung an andere Stellen ab. Wir bieten einen Wegweiser im Geld-Dschungel.“

Die Idee zu einem Angebot zur finanziellen Grundbildung entstand bei Exner-Wallmeier durch ein Seminar des AlphaDekade-Projekts CurVe II. Dort wurden unter anderem die Materialsets des Projekts vorgestellt, die anhand von realistischen Szenarien einer Familie entwickelt wurden. „Das fand ich sehr griffig und anschaulich“, erinnert sich Exner-Wallmeier.

Inzwischen hat sich die Sprechstunde etabliert und wird gut angenommen. „Viele Menschen bei uns im Quartier haben einen geringen Bildungsstand. Wir beobachten, dass Armut, Altersarmut und unverschuldete prekäre Situationen aufgrund von mangelndem Wissen immer häufiger werden“, berichtet Exner-Wallmeier: „Vielschichtige Probleme treffen auf Menschen, die denen nicht mehr gewachsen sind. Deshalb versuchen wir Unterstützung zu geben. Spontane Hilfe zur Selbsthilfe ist für uns dabei ein Erfolgsrezept.“

  • Eine Ansprechperson, die ohne zu urteilen auf die Ratsuchenden eingehen kann und nicht „oberlehrerhaft“ arbeitet.
  • Regelmäßiger Termin ohne Anmeldepflicht, um keine zusätzlichen Hürden zu schaffen.
  • Abgrenzung zu Angeboten wie der Schuldnerberatung. Deutlich machen, dass es sich um eine „erste Sichtung“ der Situation handelt.